Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Erinnerungen an ein Reporterleben (II)

In seiner Sonntagsblick-Kolumne erinnert sich Reporter Felix Bingesser in loser Folge an Begegnungen aus 40 Jahren Sportjournalismus. Heute: die Wahrheit über den Klassiker Cool Runnings.
Publiziert: 17.04.2023 um 19:17 Uhr
Chris Stokes war als Vertreter des jamaikanischen Bobverbands auch bei den Spielen 2022 in Peking dabei.
Foto: AFP
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Felix BingesserReporter Sport

Kingston, Jamaika, ein Morgen im Mai 2003. An der Beechwood Avenue sitzen Dudley C. und Chris Stokes in ihrem Büro. Beide um die 40 Jahre alt, beide von kräftiger Statur, beide mit karibischem Schalk im Nacken, beide erfolgreiche Geschäftsmänner.

15 Jahre zuvor schrieben die beiden in Calgary Sportgeschichte. Dudley, sein Bruder Chris, Michael White und Devon Harns marschieren damals zum Gaudi der Weltbevölkerung bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 1988 ins Stadion. Als jamaikanische Bobnationalmannschaft.

Mit Plakaten nach Athleten gesucht

Vier Rastafaris, direkt vom Strand in den kanadischen Winter. Es ist die Geburt des grössten Märchens im Sport. Eine Story, die von Walt Disney einige Jahre später verfilmt wird. Und unter dem Titel «Cool Runnings» mehr als 300 Millionen US-Dollar in die Kinokassen spült.

Dudley Stokes beginnt damals, mit funkelnden Augen zu erzählen. Angefangen hat alles in einem Nachtclub in Kingston, in dem 1987 zwei amerikanische Geschäftsleute einiges über den Durst trinken. George Fitch und William Maloney sind für längere Zeit beruflich in Jamaika. Weil sie in Kingston Zeugen eines Seifenkistenrennens werden, kommt ihnen zu später Stunde die verwegene Idee, ein jamaikanisches Bobteam zu gründen. Ihr Traum: zumindest einmal als Betreuer bei Olympischen Spielen dabei zu sein.

Fitch und Maloney hängen in Kingston Plakate auf und suchen Athleten. Ernten aber nur Hohn und Spott. Ihr Weg führt sie schliesslich zum Stützpunkt der Armee, dort sprechen sie bei Colonel Ken Barnes vor. Und Barnes hat ein offenes Ohr für sportliche Anliegen. Man bespricht, dass man für die hinteren Plätze zwei Sprinter zum Anschieben benötigt, für die Mitte wohl eher einen 800-Meter-Läufer und an die Steuerseile einen Mann mit feinen Händen.

So kommt es, dass Michael White und Chris Stoke, die zu dieser Zeit beide die 100 Meter in 10,2 Sekunden sprinteten, sowie Mittelstreckler Devon Harns und der damalige Helikopter-Pilot Dudley Stokes als Steuermann das erste karibische Bobteam bilden.

Mikrige Summe des Film-Klassikers ging an echtes Team

In Calgary verursachen die Jamaikaner einen gigantischen Medienwirbel. Ein kapitaler Sturz im Eiskanal sorgt für zusätzliches Interesse, und nach wenigen Tagen «konnten wir mit unseren angeschriebenen Trainingsjacken nicht mehr auf die Strasse. Über Nacht sind wir zu Superstars geworden», sagt Dudley Stoke.

Das Märchen hat auch Schattenseiten. Im Gespräch mit den Stokes-Brüdern wird klar, dass der Film «Cool Runnings» bei denjenigen, die die Vorlage für den Kassenschlager geliefert haben, gemischte Gefühle hinterlassen hat. «Wir haben von den 300 Millionen nur 225'000 Dollar erhalten», sagt Dudley Stokes. Sie wurden über den Tisch gezogen. Und Chris ergänzt: «Wenigstens wurden wir an die Premiere nach Los Angeles eingeladen.»

Das jamaikanische Bobteam gibt es heute noch. Dudley war mal Verbandspräsident, sein Bruder Chris ebenso. Sie haben später noch bei weiteren Spielen teilgenommen. «Aber wir wurden nie richtig ernst genommen. Wir wollten Sportler. Aber nach diesem Film waren wir nur noch Showmen.»

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