Übrigens – die Kolumne über mentale Probleme im Sport
Alles nur Kopfsache!

Der Kopf ist zur Achillesferse geworden. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 10.09.2023 um 19:04 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2023 um 07:58 Uhr
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Felix Bingesser ist Blattmacher, Kolumnist und Reporter in der Sportredaktion der Blick-Gruppe.
Foto: Thomas Meier

Wie so oft. Die Blockade war im Kopf. Schwinger Samuel Giger hat sie dank seinem Mentaltrainer gelöst und befreit und in bestechender Manier den Unspunnen-Schwinget gewonnen. Im «Sportpanorama» fragt dann die aufgeregte Moderatorin den Unspunnen-Sieger: «Wie muss man sich die Arbeit mit dem Mentaltrainer vorstellen? Nimmt er das Böse raus und tut das Gute rein?» «In etwas so», schmunzelt Giger. 

Der Kopf ist im Spitzensport längst die Achillesferse. Aber was macht dann der Mentaltrainer, wenn er nichts rausnehmen kann, weil gar nichts drin ist? Kann er dann noch mehr Gutes reintun? Oder gar nichts?

Mentaltrainer haben Hochkonjunktur. Die Mentalhygiene hat die Dentalhygiene als Kassenschlager abgelöst. Kräftig zubeissen ist zur Kopfsache geworden. Stan Wawrinka zeigt es nach jedem zweiten Ballwechsel an. Jeder, der schon zweimal Federball gespielt hat, kann das US Open gewinnen. Wenn es im Kopf stimmt. 

Das greift vom Spitzensport auch zunehmend ins normale Leben über. Mental- und Motivationscoaches spriessen schneller aus dem Boden als das Unkraut im Garten. Jeder Briefträger braucht einen Mentaltrainer. Damit er nach dem siebten Briefkasten, in den er neben der Zeitung auch noch den frischen Broccoli und sechs Liter Mineralwasser reinstopfen muss, die Motivation nicht verliert. 

Die Schulkinder brauchen einen Mentaltrainer, damit sie im Turnen den Purzelbaum machen und zu Hause den Teller nach dem Mittagessen selbständig abräumen und die Hausaufgaben machen. 

Die aus dem Ausland geholte Fachkraft Medizin braucht einen Mentaltrainer, wenn sie all die schutzbedürftigen Eritreer behandeln muss, die in der Heimat an Leib und Leben bedroht sind, sich dafür aber am Eritrea-Festival die Köpfe blutig schlagen. 

Ergotherapie oder Egotherapie

Und all die Steuerzahler brauchen einen Mentaltrainer, wenn sie solche Polizeieinsätze bezahlen müssen und gleichzeitig die Krankenkassenprämien weiter explodieren. Es stellt sich die Frage: Wie soll man in diesen Zeiten ohne Mentaltrainer über die Runden kommen?

Mentaltrainer tummeln sich auch in jedem Fussballklub. Für zwei Millionen Monatslohn jeden Tag ins Training oder in die Ergotherapie zu fahren, ist auch Kopfsache. Statt Ergotherapie wäre in diesem wild gewordenen Business aber eher eine Egotherapie empfohlen.

Die Mentaltrainer sind grundsätzlich nicht zu beneiden. Sie müssen jedem kleinen Goldfisch, der zusammen mit grossen Fischen im selben Aquarium schwimmt, eintrichtern, ebenfalls ein toller Hecht zu sein. Ansonsten der kleine Goldfisch zu einem trostlosen und von Minderwertigkeitskomplexen beherrschten Leben verdammt ist.

Früher gab es keine Mentaltrainer. Als Erfinder dieses Berufs, wie könnte es anders sein, kommt Bernhard Russi infrage. «Wenn wir im Training 20 Liegestützen machen mussten, dann habe ich immer 21 gemacht. Die eine Liegestütze war für den Kopf. Ich hatte das Gefühl, mehr zu trainieren als alle anderen.»

Mit dieser Gewissheit ist er Weltmeister und Olympiasieger geworden. Ohne Mentaltrainer.

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