Opferberaterin Agota Lavoyer über neue Quäl-Vorwürfe beim STV
Kann ich mein Kind noch nach Magglingen schicken?

Neue Quäl-Vorwürfe an die Adresse von Trainer des Schweizerischen Turnverbands – neu sind auch die Kunstturnerinnen betroffen. Opferberaterin Agota Lavoyer sagt, worauf Eltern von Sport-Kindern achten müssen.
Publiziert: 02.11.2020 um 00:27 Uhr
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Aktualisiert: 06.11.2020 um 22:02 Uhr
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Neu ist auch das Kunstturnen betroffen: Die Zahl der Missbrauchsvorwürfe im STV steigt und steigt.
Foto: Getty Images
Emanuel Gisi

BLICK: Viele Eltern merken erst spät, dass ihr Kind von einem Trainer oder einer Trainerin misshandelt wird. Wie kann das sein?
Agota Lavoyer:
Das ist ein verbreitetes Phänomen. Kindern und Jugendlichen werden Schweigegebote auferlegt, sie befinden sich in einem Abhängigkeitsver­hältnis und in einem Loyalitätskonflikt. Sie wissen: Lasse ich mir etwas anmerken, ist es vorbei. Zum Beispiel der Traum von der Nationalmannschaft oder von Olympia. Sie denken: Reden sie, hat das Konsequenzen.

Und wenn sie etwas sagen?
Es ist auch möglich, dass sie die gegenteilige Erfahrung machen: Sie haben sich anvertraut, und es ist nichts passiert, es wurde verharmlost und ihnen wurde nicht geglaubt. Dazu kommt, dass man ihnen das Gefühl gibt, sie seien selbst schuld und sie schämen sich. Oft träumen die Eltern natürlich auch den sportlichen Traum der Kinder mit und wollen nicht wahrhaben, dass etwas nicht stimmt.

Woran merke ich, dass etwas nicht stimmt?
Im Gespräch mit dem Kind. Beantwortet es meine Fragen zum Training oder lenkt es sofort ab? Ich empfehle, nach konkreten Grenzüberschreitungen zu fragen. Blockt das Kind ab, kann dies ein Signal sein. Beobachten Sie Ihr Kind, wenn es ins Training geht. Geht es gerne? Wie geht es ihm, wenn es zurückkommt? Achten Sie auch auf das Ess- oder Schlafverhalten. Am besten, das Kind erzählt von sich aus.

Wie gelingt das?
Indem man mit dem Kind im Gespräch bleibt, aufklärt. Was ist sexualisierte Gewalt? Was sind körperliche und psychische Gewalt oder ein Schweigegebot? Ein Kind kennt viele subtilere Gewaltformen nicht, weiss nicht, was okay ist, was nicht. Man kann zu Hause ein Klima schaffen, in dem es auch unangenehme Dinge erzählt, ohne verurteilt zu werden.

Ich merke, dass mein Kind miss­handelt wird. Wie reagiere ich?
Konsequent. Ich muss bereit sein, es sofort aus dem Training zu nehmen. Oft haben Eltern das Gefühl, das Kind solle entscheiden, ob gewisse Grenzverletzungen noch okay sind. Man traut Kindern oft viel zu viel zu. Ein Kind kann nicht abschätzen, welche schlimmen Folgen es hat, jahrelang erniedrigt zu werden.

Was kann ein Verband tun, der wie der STV ein Problem mit übergriffigen Trainern hat?
Möglichst viele Hürden einbauen, damit das Risiko vermindert wird. Wichtig wäre auch eine Meldestelle, die unabhängig vom Verband agiert. Ein Ort, wo keine persönlichen Verbindungen zu Führungspersonen bestehen. Und wo Schweigepflicht besteht.

Wie ist die Situation beim STV?
Ich frage mich, wie ernst man die Probleme nimmt. International gibt es im Turnsport seit Jahrzehnten ein riesiges Gewaltproblem. Auch hier in der Schweiz ist das längst bekannt, aber der STV schafft es nicht, die Kinder zu schützen. Er nimmt in Kauf, dass sie durch Gewalt massive psychische Schäden davontragen.

Würden Sie Ihr Kind Spitzensport treiben lassen?
Grundsätzlich ja, aber egal bei welcher Sportart: Ich möchte von jeder Fachperson, der ich mein Kind anvertraue, wissen, wie es vor Gewalt geschützt wird. Im Moment würde ich aber mein Kind nicht nach Magglingen schicken – ich hätte das Vertrauen nicht.

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