Ich kann den Gymnastinnen und Turnerinnen, die mit ihren Missbrauchs-Erlebnissen an die Öffentlichkeit gegangen sind, nur gratulieren. Ich weiss, wie viel Mut das braucht. Schon in jungen Jahren wird Athletinnen und Athleten im Turnen nämlich immer wieder eingetrichtert, dass sie im Unrecht sind.
Jetzt haben sie sich gewehrt. Und etwas in Bewegung gesetzt. Die Unterstützung aus dem Parlament bei der Gründung einer unabhängigen nationalen Meldestelle für den Schweizer Sport ist ein erster Schritt.
Es braucht einen Systemwechsel
Hätte es zu meiner Aktivzeit eine solche Stelle gegeben, hätte ich die Methoden meines früheren Trainers Eric Demay wohl schon früher publik gemacht. Ich konnte damals nur auf die Unterstützung meines Umfelds und der Turn-Kolleginnen, die mich bestärkten, zählen. Zum Glück bekommen unsere Nachfolgerinnen nun Hilfe.
Aber ich hoffe auf weitere Lösungen und bin gespannt, was nun passiert. Denn es braucht noch mehr. Ich erwarte von den verschiedenen Instanzen – dem Schweizerischen Turnverband, Swiss Olympic und dem Bund –, dass sie die Situation regelmässig überprüfen. Es muss einen Systemwechsel geben – im Turnen, aber auch allgemein im Sport.
Kontinuierlich muss hinterfragt werden, ob Trainingsmethoden und Umgangsformen noch adäquat sind. Und es ist wichtig, dass die Athletinnen und Athleten dabei mit einbezogen werden.
Es ist höchste Zeit, dass man den Betroffenen eine Stimme gibt – schliesslich schreiben wir das Jahr 2020!
Sie wehrte sich einst selbst
Ariella Kaeslin (33) wehrte sich 2007 mit ihren Teamkolleginnen gegen das Mobbing und den Psychoterror durch ihren Trainer Eric Demay. Der Schweizer Turnverband stärkte zuerst dem Franzosen den Rücken und strafte die Athletinnen ab, in dem ihnen die EM gestrichen wurde. Erst später wurde Demay gefeuert. Kaeslin wurde 2009 Europameisterin am Sprung.