Die Missbrauch-Skandale im Schweizerischen Turnverband (STV) haben die Sport-Schweiz aufgerüttelt. Und sie ziehen immer weitere Kreise – jetzt wird die Politik aktiv. Einen Tag, nachdem alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (75) im Sonntagsblick verlangt hat, dass die Politik «Fragen stellen und Antworten fordern» müsse zu den üblen Fällen, die sich in den letzten Jahren im Nationalen Leistungszentrum Magglingen zugetragen haben sollen, greift die Sportkommission des Ständerats (WBK) ein.
Sie hat am Montag die Chefs von STV, Swiss Olympic und dem Bundesamt für Sport vorgeladen – und danach einen Vorstoss zur Schaffung einer unabhängigen nationalen Anlaufstelle für Missbrauchsopfer im Sport verabschiedet. Diese soll helfen, die Rechte der Athletinnen zu stärken.
Damit folgen die Politiker einem Aufruf von Ariella Kaeslin (33). Schon im Sommer sagte die Ex-Europameisterin im Kunstturnen zu Sonntagsblick: «Vielleicht wäre es gut, die Turner hätten eine spezielle Anlaufstelle für solche Probleme. Es müsste eine unabhängige Kommission geben, die eine Kontrollfunktion einnimmt und die Geschehnisse überwacht.»
Meldestellen «nicht unabhängig und wenig professionell»
Zwar gibt es heute schon Meldestellen in den einzelnen Sportverbänden. «Doch diese sind nicht unabhängig und wenig professionell», sagt die Grüne Ständerätin Maya Graf (58). Von einer nationalen Meldestelle erhofft sich ihre Basler Ständerats-Kollegin Eva Herzog (SP, 58) zudem eine präventive Wirkung: «Heute haben viele Turnerinnen Angst, sich intern zu melden, weil sie sich vor Repressionen im Training fürchten».
Der politische Druck sei zudem zwingend nötig, damit der Prozess zur Aufarbeitung der Fälle nicht «einschlafe». «Die geplante Meldestelle ist auch ein Warnsignal an die Verbände», sagt Kommissionspräsident Hannes Germann (64, SVP). Ihn würde es nämlich nicht wundern, wenn es in anderen Einzelsportarten zu ähnlichen Missbrauchsfällen komme wie im Turnen.
Organisieren sich die Ethik-Hüter wie die Doping-Jäger?
«Bei uns rennt die Politik mit diesem Vorstoss offene Türen ein», sagt Roger Schnegg, Direktor von Swiss Olympic. Hintergrund: Bereits seit Anfang Jahr laufen bei Swiss Olympic Abklärungen, wie eine nationale Meldestelle, die von den einzelnen Verbänden unabhängig ist, aussehen könnte. «Drei Gutachten liegen uns dazu vor, diesen Monat wird sich auch unser Exekutivrat damit beschäftigen.»
Man habe dies unabhängig von den Vorfällen im STV angestossen. Der Vorteil einer einzigen Meldestelle liegt für Schnegg auf der Hand: «Dadurch, dass sie komplett von den einzelnen Verbänden getrennt ist, wird sichergestellt, dass potentielle Opfer, die sich dort melden, geschützt werden. Es kann schon gar nicht mehr der Verdacht aufkommen, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.»
Wie genau die zentrale Meldestelle aussehen könnte, ist noch nicht definiert. «Denkbar ist eine national tätige Organisation wie zum Beispiel bei Antidoping Schweiz.» Die Doping-Jäger werden als unabhängige Stiftung zur Hälfte vom Bund und zur Hälfte von Swiss Olympic finanziert.
«Es reicht nicht, dass einzelne Trainer entlassen werden»
Beim Schweizerischen Turnverband ist es in den vergangenen Jahren immer wieder zu schweren Fällen von Misshandlung gekommen: Turnerinnen wurden gemobbt und als fett beleidigt; Nationaltrainerinnen der Rhythmischen Gymnastik quälten ihre Athletinnen gar körperlich. «Es reicht nicht, dass einzelne Trainer entlassen werden», sagt Ständerätin Herzog. «Die Trainingsmethoden und die Atmosphäre im Spitzenturnen müssen sich generell ändern.»
Am Dienstag geht der Spiessrutenlauf für die Sport-Bosse weiter. Nach dem Montags-Termin im Ständerat müssen sie bei Sportministerin Viola Amherd (58), die der WBK-Anhörung fernblieb, antraben.