French-Open-Sieger Stricker will durchstarten
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Ballkünstler im Familien-Duell:French-Open-Sieger Stricker fordert Vater im Tischtennis

Papas Karriere endet mit einem Knall
So tickt die Familie von Tennis-Juwel Stricker (18)

Das schmerzhafte Ende von Stephan Stricker (49) als Spitzenspieler im Tischtennis ebnet Sohn Dominic (18) den Weg zu einer grossen Karriere im Tennis – und mündet vorerst im Triumph an den French Open.
Publiziert: 01.11.2020 um 01:36 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2020 um 03:27 Uhr
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Tennis oder Tischtennis? Shooting-Star Dominic Stricker spielte als Kind zuerst Ping-Pong und schnappte sich dann das grosse Racket.
Foto: Sven Thomann
Sebastian Rieder

Die Bühne ist bereit für das grosse Duell: Vier Scheinwerfer, drei Kameras, zwei Ballkünstler und ein Tisch – und das auf einem Tennisplatz. ­Stephan gegen Dominic Stricker. Vater ­gegen Sohn. Das Fotoshooting vor dem Showdown provoziert in der vollen Bieler Halle neugierige ­Blicke und freche Sprüche. «Stricker, ich will ein Kind von dir!», ruft ein Kollege vom Nebenplatz und zielt mit der scherzhaften Forderung auf den Junior, der vor drei Wochen an den French Open im Schweizer Final gegen Leandro Riedi triumphierte und seither im Leistungszentrum von Swiss ­Tennis seinen neuen Status geniesst. «Das ist ein unglaublicher Coup für mich. Davon habe ich immer ­geträumt», sagt Dominic stolz, ­relativiert den Erfolg aber auch gleich wieder. «Es ist ein Titel im Nachwuchs. Zur Elite braucht es noch einmal einen grossen Schritt. Aber dieser Sieg in Paris wird mir auf meinem Weg sicher viel ­nützen.»

Geholfen haben der aktuellen Weltnummer 3 der Junioren in ­erster Linie die Eltern. «Wir haben schon früh alles dafür getan, dass er seinen Traum verwirklichen kann», sagt Stephan. Der gelernte Koch serviert in seiner Jugend beim Tischtennisclub Münsingen alle ab, führt den Verein bis in die NLA und verliebt sich während dieser Zeit in die Klubkollegin und NLB-Spielerin Sabine Bönzli. Die Versicherungskauffrau und der Chefkoch heiraten 1999 – zum Ende ­seiner fast zehnjährigen Karriere im Kader der Schweizer Nationalmannschaft.

«Das war echt brutal»

Kurz darauf kommt Tochter ­Michèle zur Welt, gefolgt von ­Dominic. Das Baby ist erst ein paar Wochen alt, als sich der Vater während eines NLA-Matches die linke Achillessehne reisst. «In dem Moment als es passierte, gab es ­einen Riesenknall in der Halle», ­erinnert sich Stricker schmerzhaft. Monatelang schwingt er nur noch den Kochlöffel, ehe er wieder zum Schläger greift. Das Comeback ­gelingt ihm, doch nur ein Jahr ­später reisst ihm auch die rechte Achillessehne. «Das war echt ­brutal. Ich wollte mein Schicksal einfach nicht wahrhaben.»

Während der Reha rappelt er sich erneut auf und findet auch beruflich ein neues Ziel. Er macht die ­Polizeischule, wird später zum ­interkantonalen Ausbildner an der Pistole und nimmt in der Freizeit den Ball wieder ins Visier. Die ­operierten Achillessehnen bleiben stabil – trotzdem muss der Tischtennis-Scharfschütze einen erneuten Rückschlag wegstecken: Kreuzbandriss im linken Knie. «Der ­dritte Schock war zu viel für mich und meinen Körper», sagt Stricker.

Ping-Pong auf dem Stubentisch

Mit 36 Jahren wird aus dem ­verbissenen Spitzenathleten ein entspannter Hobbysportler – das ehrgeizige Gemüt beruhigt er mit Fischen, Golfen, Biken und Tennis. Das Ende der Karriere ist der Startschuss für die Laufbahn von Dominic. Im Gegensatz zum Vater greift sich der kleine Dominic den Schläger mit links statt rechts – und das Ballgefühl und der Bewegungsdrang sind noch ausgeprägter. «Wir haben schnell gemerkt, dass unser Sohn eine ausser­gewöhnliche Begabung hat», sagt die Mutter.

Im Winter spielten sie Ping-Pong auf dem Stubentisch, sobald sich der Frühling ankündigte, schnappte sich Dominic den Tennisschläger aus dem Keller und knallte die Filzkugel stundenlang an die Wand. Die Hausmauer ist nur einen Steinwurf vom Tennisplatz beim TC Grosshöchstetten entfernt. Aus Spass wird Ernst – mit sanftem Druck der Eltern. «Er war immer sehr fleissig im Training, aber ab und zu mussten wir ihn pieksen, wenn er zu schnell mit sich zufrieden war», sagt Stephan und schenkt seinem Sohn ein Augenzwinkern. «Den richtigen Kampfgeist hatte ich als kleines Kind noch nicht. Den musste ich zuerst von meinen ­Vater lernen», gibt Dominic unumwunden zu, «profitiert habe ich ­sicher auch von seinem taktischen Verständnis.»

«Heute hat Papi keine Chance mehr»

Das familiäre Förderprogramm führt den ballverliebten Buben als Schüler in die Talentschmiede von Swiss Tennis. Schnell gehört er zu den Klassenbesten, bis er seinen 30 Jahre älteren Papi besiegt, muss er sich aber noch gedulden. «Mein Vater hatte mich lange im Griff. Wegen seiner Technik vom Tischtennis konnte er mich immer wieder austricksen», erklärt Dominic. Erst als dann die Aufschläge des ­Teenagers besser und sein Spiel härter wird, dreht sich das Kräfteverhältnis. «Heute hat er keine Chance mehr», sagt Dominic und lacht.

Das auffällige Grinsen verliert der Youngster auch an der Ping-Pong-Platte nicht. Obwohl der Jüngling im Mini-Match gegen den Altmeister mit 8:11 den Kürzeren zieht, geht er mit erhobenem Haupt aus der Niederlage. «Ich ­hätte nicht gedacht, dass ich so viele Punkte mache. Ich hatte grosse Mühe, die Aufschläge zu lesen und zum Schluss, hat er mich nur noch hin und her gehetzt.» Gelernt ist gelernt, denkt sich der Vater und sagt: «Dominic hat es immer noch voll drauf im Tischtennis. Aber ich bin ganz froh, dass er sich fürs Tennis entschieden hat.»

Vater von Björn Borg spielte auch Tischtennis

Der steile Aufstieg von Dominic Stricker weckt Erinnerungen an die schwedische Tennis-Legende Björn Borg, dessen Vater Rune ebenfalls ein exzellenter Tischtennisspieler war. In seiner Biografie beschreibt der 11-fache Grand-Slam-Sieger die Anfänge seiner Karriere wie folgt: «Als ich sieben Jahre alt war, gewann mein Vater ein Turnier und durfte am Gabentisch zwischen einer Angelrute und einem Tennisschläger wählen. Er entschied sich für das Racket und schenkte es mir. Ich ging sofort zum Tennisplatz und spielte mit ein paar Freunden. Nach dem ersten Punkt habe ich mich in diesen Sport verliebt.» Bemerkenswert: Wie Dominic Stricker gelang Borg mit 18 Jahren an den French Open der erste Majorsieg – allerdings schon bei den Profis.

Der steile Aufstieg von Dominic Stricker weckt Erinnerungen an die schwedische Tennis-Legende Björn Borg, dessen Vater Rune ebenfalls ein exzellenter Tischtennisspieler war. In seiner Biografie beschreibt der 11-fache Grand-Slam-Sieger die Anfänge seiner Karriere wie folgt: «Als ich sieben Jahre alt war, gewann mein Vater ein Turnier und durfte am Gabentisch zwischen einer Angelrute und einem Tennisschläger wählen. Er entschied sich für das Racket und schenkte es mir. Ich ging sofort zum Tennisplatz und spielte mit ein paar Freunden. Nach dem ersten Punkt habe ich mich in diesen Sport verliebt.» Bemerkenswert: Wie Dominic Stricker gelang Borg mit 18 Jahren an den French Open der erste Majorsieg – allerdings schon bei den Profis.

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