Am 31. August beginnen die wohl umstrittensten, ungewöhnlichsten US Open der Geschichte, die trotz Corona-Pandemie durchgeboxt werden. Schon am Samstag beginnen die Cincinnati Open. Nicht in Cincinnati, sondern bereits in Flushing Meadows – eine Art Generalprobe unter den besonderen Verhältnissen mit strengen Sicherheitsmassnahmen im Big Apple. Ohne Zuschauer, aber mit landesweiter, lukrativer Abdeckung durch TV-Gigant ESPN.
Nicht zu sehen sind Tennis-Lieblinge wie Roger Federer, Rafael Nadal, Ashley Barty oder Simona Halep. Auch weitere Schweizer Aushängeschilder wie Stan Wawrinka und Belinda Bencic fehlen. Bei den Frauen passen bislang sechs Spielerinnen aus den Top Ten der Weltrangliste, bei den Männern vier. Ihnen allen war die Reise nach New York zu riskant, das Leben in einer kontrollierten Blase nicht geheuer. Sie bereiten sich lieber auf die anschliessende Sandsaison im europäischen September vor.
US-Open-Turnierdirektorin Stacey Allaster ist dennoch zufrieden mit der Besetzung. Rund 350 Spieler leben bisher in ihrem sogenannten «Manhattan Projekt», in dem die Teilnehmer beider Turniere in der «Bubble» zwar nicht nach Manhattan dürfen, wo aber durch etliche Aktivitäten und Unterhaltungs-Einrichtungen «Manhattan zu ihnen gebracht wird».
Grund zur Freude bietet den Organisatoren vor allem auch das Aufgebot einiger Top-Stars, die das Wagnis «US-Tennis» trotz allem in Kauf nehmen: die serbische Weltnummer 1 Novak Djokovic, Nummer 3 Dominic Thiem (Ö), der deutsche Next-Gen-Star Alexander Zverev (ATP 7), der Weltmeister und Cincinnati-Sieger von 2017, Grigor Dimitrov (Bul) oder die beiden Kroaten Marin Cilic, US-Open-Champ 2014, und Borna Coric (ATP 33).
Tennisvorbilder mit angekratztem Image
Diese illustren Namen haben allesamt etwas gemeinsam. Da war doch was? Richtig, im Juni waren besagte Spieler zusammen auf der von Djokovic initiierten «Adria Tour». Vor jeder Menge Zuschauer, mit Offiziellen, Coaches und viel, viel Spass für Spieler und Fans auf und neben den Courts. Doch der Balkan entpuppte sich als Corona-Nest. Zunächst traf es Dimitrov, dann Coric und ein paar Betreuer, schliesslich auch den Weltbesten, Organisator Djokovic und dessen Frau Jelena. Mit Viktor Troicki wurde ein weiterer Teilnehmer positiv auf Covid 19 getestet – bestimmt zum grossen Missfallen seiner schwangeren Ehefrau.
Auch vielen anderen gefiel das unvorsichtige Verhalten dieser vermeintlichen Tennis-Vorbilder nicht. Besonders für Djokovic, der sich als Impfgegner, Esotheriker und von Gott Auserwählter stets über Sorgen und Ängste der Normalbürger hinwegsetzte, hagelte es Kritik und Häme. Im Netz auch von Tourkollegen, die besonders im kontroversen Australier Nick Kyrgios, der sich nach zahlreichen eigenen Eskapaden plötzlich als besonnener Verfechter von Moral und Ethik aufspielte, einen prominenten Sprecher fanden.
Party machen diesmal verboten
Troicki nimmt nicht am Cincinnati Open teil – er hat aus seinen Fehlern gelernt, bleibt daheim in Belgrad bei seiner mittlerweile hochschwangeren Gattin. Aber die anderen Sündenböcke stellen sich vereint wieder dem Wettkampf in einem weiteren Risiko-Gebiet, der anders als bei der Adria-Tour diesmal ernst ist. Klar, Djokovic, Dimitrov und Coric haben die Krankheit ja auch schon hinter sich und halten sich vorerst für immun.
Thiem oder Zverev, der seinen Ruf zusätzlich schädigte, indem er nach reumütigen Aussagen und versprochener Selbstisolation beim Party machen in Monaco gesichtet wurde, vertrauen auf von den Behörden verordnete Corona-Tests im Vier-Tage-Rhythmus. Und auf ihre Bändelchen am Handgelenk, die an All-Inclusive-Ferien in abgeschlossenen Urlaubsressorts erinnern. Blau fürs isolierte Warten aufs Testergebnis, grün für die Antwort Negativ. Ein rotes Band gibt es kaum – wer positiv getestet ist, wird verbannt.
Oben-Ohne Partys, Live-Konzerte sowie Interaktionen mit Fans liegen in New York zum Glück nicht drin. Stubenarrest in zwei Spielerhotels oder gemieteten Häusern, Zimmerservice, TV und Playstation sind angesagt – ausser man ist auf der Anlage im Corona Park.
Djokovic – nichts gelernt?
Die Corona-Regeln sind Djokovic aber zu streng. Schon wieder versucht der Serbe nämlich, die Vorschriften aufzuweichen. Er sammelt gemäss «Marca» im Tennis-Tross Unterschriften, damit der Argentinier Guido Pella (30, ATP 35) und dem Bolivianer Hugo Dellien (27, ATP 94) diese Woche spielen dürfen. Das Problem: Ihr gemeinsamer Athletiktrainer wurde positiv getestet – die Vorschriften besagen, dass bei einem Corona-Fall im Team die Spieler in Isolation müssen, selbst wenn sie wie Pella und Dellien negativ getestet werden.
Djokovic will das ändern. Und macht auch sonst klar, dass er nichts bereut. «Ich denke nicht, dass wir etwas Schlechtes gemacht haben. Ich würde die Adria Tour wieder machen», sagt er vor den US Open bei der «New York Times». Klar, dass erneut heftige Kritik auf ihn niederprasselt. Nick Kyrgios, bereits während der Adria Tour ein Kritiker der unverantwortlichen Verhaltensweisen seiner Spielerkollegen, schreibt auf Instagram: «Beängstigend, dass die Leute null Verantwortung übernehmen wollen. Eine Ansammlung von Trotteln.»
Und in den von Covid-19 schwer getroffenen USA schlägt der Weltnummer 1 sogar richtiggehend Hass entgegen. Der renommierte Journalist Benjamin Hart schreibt auf Twitter: «Ich wünschte mir wirklich, dass an den US Open zugelassen sein würden. Hauptsächlich, damit sie Djokovic für seine Aussagen ausbuhen könnten. Ich dachte bisher eigentlich, er hätte zu Unrecht seinen schlechten Ruf. Doch jetzt bin ich voll auf der Hass-Schiene.»
Wie stark kehrt Djokovic zurück?
Dort können die Skandal-Brüder von der Adria in den nächsten drei Wochen durch gutes Tennis ihr angekratztes Image wieder aufpolieren. Klarer Favorit in der Runde ist natürlich König Djokovic, der mit einer 18:0-Siegesbilanz und zwei Titeln in diesem verseuchten Jahr resultatmässig noch fleckenfrei ist. Mit dem «Western & Southern Open» verknüpft er zudem gute Gefühle, konnte er doch vor zwei Jahren einen historischen Rekord verbuchen. Mit einem Finalsieg über Federer hatte er als erster Spieler alle 1000er-Titel der Tour mindestens einmal gewonnen. Die langsameren Plätze in Flushing Meadows spielen dem «Djoker» noch dazu in die Karten. Die grosse Frage wird sein: In welcher Verfassung befindet er sich nach den Trainingspausen und überstandener Corona-Infektion?