Marc-Andrea Hüsler ist Schweizer Tennisprofi – im Aufbruch – und 24 Jahre alt. In dem Alter hatte Roger Federer schon an die 30 ATP-Titel im Sack, sechs Grand-Slam-Siege. Er war seit einem Jahr die Nummer 1 der Welt und blieb es noch knapp drei weitere Jahre am Stück.
Hüslers grösste Erfolge sind drei Turniersiege auf Challenger-Stufe, zwei davon konnte er in dieser Saison realisieren. Dafür hat er die Matura des Sportgymnasiums Zürich in der Tasche, weshalb er erst mit 19 auf Tennisplätzen Vollgas geben konnte. Aber seitdem ging es für ihn konstant aufwärts. Aktuell belegt er Weltranglistenplatz 148, was ihm die erstmalige Teilnahme im Qualifikations-Feld der Australian Open ermöglicht. «2021 wird wegweisend», sagt Hüsler bei einem Treffen auf der Zürcher Tennisanlage Lengg, «läuft es gut, bin ich in Paris sogar im Hauptfeld. Ich weiss, es ist möglich.»
Von Ausnahme-Erscheinungen wie Federer lässt sich Marc-Andrea nicht blenden. «Jeder Mensch folgt seinem eigenen Rhythmus», sagt er. Solange man hungrig sei, spiele das Alter keine grosse Rolle. «Mein Weg hat durchaus Vorteile, denn ich bin überhaupt nicht ausgelaugt. Hätte ich schon mit 15 begonnen, wäre ich jetzt bald zehn Jahre lang viel gereist, hätte es vielleicht fast schon gesehen. Ich kenne viele Beispiele erfolgreicher Junioren, die nicht für ihren Verzicht in der Jugend belohnt wurden.»
Einst nicht weit weg von Medwedew
Als er das sagt, fällt sein Blick auf einen Bildschirm im Lengger Fitnessraum, wo ein Replay des ATP-Finals in London läuft. Da spielt Daniil Medwedew, 24, Sieger des Saisonfinales. Gehen ihm nicht doch Vergleiche durch den Kopf, wenn er die russische Weltnummer 4 sieht? «Ich zweifle jedenfalls nicht an mir. Vor ein paar Jahren verlor ich gegen Daniil an einem Future in Italien 4:6, 4:6, speziell war das nicht.» Auch gegen Karen Katschanow oder Yannik Sinner habe er schon gespielt. «Sie machen vieles richtig, setzten aber auch viel früher als ich auf Profi.»
Ein Frühzünder war Hüsler noch nie. «Mit 12 war ich noch nirgends, meinen ersten Erfolg hatte ich mit 14 an der Schweizermeisterschaft – allerdings verpatzte ich im Final sechs Matchbälle.» Zwei Jahre später wurde er U16-Meister, dann dreimal U18-Vizemeister. Immerhin: Mit vergleichsweise wenig Trainingsaufwand war Marc-Andrea bis zur Matura stets unter den ersten fünf des Schweizer Junioren-Rankings klassiert.
«Talent habe ich wohl», vermutet er. Dazu komme der Vorteil, ein Linkshänder und gross zu sein. Serve- und Volley, wie es sein Vorbild Roger zelebriert, sei immer eine Option. «Aber die ist auch mit viel Risiko verbunden», weiss er. Das Selbstvertrauen, das es dafür brauche, habe er derzeit. Nun geht es für Marc-Andrea darum, seine gute Ausgangsposition zu den Top-100 zu halten. «Für mehr muss ich auch noch mehr tun», weiss er.
Sparen ist derzeit nicht angesagt
Ein weiterer Aufstieg käme ihm auch finanziell gelegen. Rund 100’000 Franken budgetiert er derzeit im Jahr. Er schafft das mit Hilfe der Turniereinnahmen, einiger Sponsoren, lukrativer Interclub-Einsätze bei NLA-Meister TC Seeblick. Und seiner Eltern, einem Psychotherapeuten und einer Lehrerin, die ihm noch Versicherungen und Wohnrecht zuhause in Rüschlikon spendieren.
Doch dies ist nicht die Zeit zum Sparen. Um weiter ATP-Punkte zu sammeln, leistet sich Hüsler, der hierzulande unter Roman Valent, Alexander Sadecky und Konditrainer Pascal Kaiser trainiert, auf Reisen den österreichischen Coach Julian Knowle. Kommt der Erfolg, wird er sein familiäres Team sicher bald um ein Management vergrössert. Interessenten habe es schon gegeben, aber dies sei eine schwierige Zeit, Sponsoren zu finden, sagt Marc-Andrea. «Niemand investiert momentan viel Geld.»
Ja, das Corona-Jahr hat es auch Marc-Andrea Hüsler nicht leicht gemacht. Dafür kreativ – so nutzte der Spätzünder die wettkampflosen Monate, um das Klavierspiel zu lernen. Online im Selbststudium und mit etwas Hilfe seiner Freundin, die schon lange spielt. Dafür klingt sein bevorzugtes, auswendig gelerntes Stück «Mad World» von Gary Jules gar nicht schlecht. Im Gegenteil: «Verrückte Welt» klingt für den Tennis-Durchstarter äusserst passend.