Die Tennis-Welt hatte auf ein spektakuläres Halbfinal-Duell in Paris gehofft, auf eine Wachablösung womöglich. Doch dann wurde der Kracher zwischen Novak Djokovic (36) und Carlos Alcaraz (20) vom physischen Blackout des jungen Spaniers überschattet. Nach dem Satzausgleich verkrampfte Alcaraz plötzlich. Im Arm, in den Beinen, «dann am ganzen Körper», wie er hinterher enttäuscht zu Protokoll gab. Der Mann, der mit seiner unglaublichen Power und Fitness verblüfft, konnte nicht mehr, blieb letztlich chancenlos (3:6, 7:5, 1:6, 1:6).
Der immense «Druck» der ersten zwei Sätze habe sich negativ auf seinen Körper ausgewirkt, gab er offen zu.
Es ist nicht die einzige Erkenntnis, die die jüngste Weltnummer 1 der Geschichte aus den vergangenen Monaten mitnimmt. In Paris mag die mentale Ebene einen bedeutenden Einfluss auf seine Performance gehabt haben. Doch seine Physis bleibt auch so ein Thema. Nicht nur wegen seines intensiven Spielstils, sondern auch, weil er schon im Alter von 20 Jahren immer wieder von Verletzungen ausgebremst wird.
Seit Paris-Bercy im vergangenen Herbst hat Alcaraz immer wieder muskuläre Probleme: Rund die Hälfte der geplanten Turniere musste er seither absagen, oder er war nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. Mal zwickte es im Oberschenkel, mal machte die Hand Probleme.
Alcaraz im Dilemma
Der letztjährige US-Open-Champion schob die Verletzungsanfälligkeit im Frühjahr vor allem auf den «anspruchsvollen Terminkalender» ohne grosse Pausen. Martinez Cascales, einer seiner Trainer, erklärte derweil: «Für mich liegt die erste Erklärung in seiner sehr explosiven Spielweise, die oft exzessiv ist, was die Anzahl der Bälle, denen er in einem Ballwechsel nachjagt, angeht.»
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Alcaraz stecke diesbezüglich in einem Dilemma: Martinez würde es gern sehen, wenn es der Youngster nach Verletzungen ruhiger anginge. Andererseits sei sein Tempospiel auch «eine sehr wichtige Eigenschaft».
Dass sich das Alcaraz-Team noch in einem Findungsprozess befindet, was die Belastungssteuerung angeht, hat sich auch in Paris gezeigt. Etwa an den spielfreien Tagen, an denen Alcaraz mitunter bewusst keinen einzigen Ball schlägt. Das habe nichts mit Verletzungen zu tun, betont zwar Hauptcoach Juan Carlos Ferrero. Und doch sagt er: «Manchmal sind wir der Meinung, dass es das Beste für ihn ist, um frisch zu bleiben oder um sich zu erholen.»
Suche nach der Balance
Alcaraz gab früher im Jahr gegenüber Eurosport zu, dass er neben dem Platz nicht immer alles richtig gemacht habe: «Ich spreche von Pausen, Nahrungsergänzungsmitteln, gutem Essen und so weiter.» In der Folge sei auch das Thema innerhalb seines Teams geworden.
Kurzum: Im Lager der Weltnummer 2 wird mächtig getüftelt, um den Superstar verletzungsfrei und doch so explosiv wie möglich zu halten. Und dabei scheint auch klar: Wenn diese Balance einmal vollumfänglich gefunden ist, wäre Alcaraz eine seiner ansonsten kaum vorhandenen Schwächen los. Und damit noch gefährlicher für die Konkurrenz.