Jil Teichmann, Sie standen im Lexington-Final und schafften es ins Hauptfeld von Cincinnati – sind scheinbar gut drauf!
Jil Teichmann: Vielleicht etwas unerwartet, aber ich ging auch mit wenig Erwartungen nach Amerika. Ich freue mich sehr, wieder zurück auf dem Wettkampfplatz zu sein. Aber ich hatte noch nie eine so lange Tennis-Pause vorher in meinem Leben und deshalb keine Ahnung, wo ich wirklich stehe. Das ist eine völlig neue Situation für mich. Ich habe mich aber scheinbar ganz gut vorbereitet.
Vor allem geht es ja allen gleich.
Genau, das habe ich mir auch gesagt. Es sind für alle die ersten Tage, alle haben noch etwas Mühe, für jeden ist die Situation neu. Zumindest ist das fair. Ich bin zufrieden mit mir – nicht weil ich perfekt gespielt habe, aber weil ich in den richtigen Momenten intelligent spiele.
Sie sahen sich bisher mehr als Sandplatz-Spielerin. Haben Sie den Knopf auf dem Hartplatz geöffnet?
Auf diesen Moment habe ich mich ehrlich gesagt schon lange gefreut. Seit Australien fühle ich mich sehr gut auf Hartplatz, spielte auch die folgenden Turniere in Doha und Lyon recht gut. Aber dann kam halt diese lange Pause ... Mein Ziel war deshalb, mich so gut wie möglich an das Level heranzutasten, auf dem ich vor der Auszeit war. Aber ich habe nur wenig Matchpraxis, und wenn, dann auf Sand.
Wo haben Sie sich auf die US-Hartplatzsaison vorbereitet?
Ich fing mit Tennis wieder auf Sand in der Schweiz an und blieb bis im Juli – da waren ja auch die nationalen Turniere. Meine Idee war damals, mit den ersten Sandturnieren wieder zu beginnen, in Palermo und Prag. Als dann aber das neue Ranking-System bekannt wurde – dass das beste Resultat zwischen 2019 und 2020 zählt –, habe ich schon ab dem nächsten Tag auf Hartplatz trainiert, in Barcelona, weil mein Trainer Alberto Martin dort ist.
Kamen Sie rechtzeitig wieder aus Spanien raus, bevor es dort wegen der Pandemie wieder kritisch war?
Ja, genau in derselben Woche. Nach einer Woche in Barcelona kam ich wieder zurück nach Biel. Angeblich wurde es in Spanien dann wieder viel schlimmer, aber man hört viel. Mein Trainer ist noch dort, sagt, es sei zwar viel geschlossen, er könne aber ein normales Leben führen. Es ist also vielleicht nicht so schlimm, wie es aus der Ferne tönt. Wie in Amerika. Das ist so ein grosses Land, und nicht überall ist es corona-verseucht.
Und doch haben Sie sich den Entscheid, nach New York zu kommen, bestimmt wohl überlegt.
Da sind zwei Punkte. Einerseits ist diese Stadt momentan die mit den tiefsten Fallzahlen. Wir Europäer haben immer noch die schlimmen Bilder vor zwei, drei Monaten im Kopf, konnten uns kaum vorstellen, dass eine Durchführung der Turniere möglich sein würde. Andererseits bin ich jetzt schon fünf Tage hier und merke überhaupt nicht, dass ich in New York bin. Ich könnte auch irgendwo in Afrika, China oder Australien sein! Hotel, Anlage, Hotel, Anlage – seitdem ich in Lexington bin. Alles wird online bestellt, viel Abstand gehalten und immer die Maske getragen. Eigentlich ist das für uns Schweizer, die wir viel mehr Freiheiten haben, fast etwas übertrieben. Aber lieber so als andersrum. Ich denke, sie machen hier am Ort der US Open einen guten Job, soweit ich das beurteilen kann. Eigentlich hatte ich noch gar keine Zeit dazu.
Viele andere Spieler finden die Situation abschreckend.
Man gewöhnt sich daran. Und man sollte sich auch überlegen, warum man überhaupt da ist. Ich bin nicht in den Ferien, sondern bin da, um meinen Job zu machen. Dass man durch Manhattan flanieren kann, mit den Trainern essen geht oder shoppt – das ist Luxus. Auf den müssen wir halt jetzt verzichten. Ich schaue es so an: Wenn wir in China sind, unternehmen wir auch nichts. Warum sollte ich das dann nicht auch hier so machen?
Mehr zum Tennis
Bleiben Sie neben Stefanie Vögele die einzige Schweizerin vor Ort?
Viktorija Golubic kommt auch nächste Woche für die US Open. Aber ich verstehe auch die anderen, die nicht kommen. Sie haben ihre eigenen Gründe, jeder hat die Pandemie auch anders erlebt, deshalb respektiere ich ihre Entscheide völlig. Je nachdem, wer ich wäre, würde ich mir das auch zweimal überlegen. Aber in meiner Situation war es klarer – ich habe keine zehn Millionen auf dem Konto. Ich habe abgeklärt, welche Sicherheit mir die Organisatoren bieten können, und dann die Risiken abgewägt. WTA und USTA (der US-Verband) versicherten mir, dass ich mich in einer Blase befinden würde und es kein Risiko gibt. Also entschied ich mich für meine Arbeit und bin ab jetzt auch selbst für mich verantwortlich.
Nur schon mit der Startgage oder ein, zwei überstandenen Runden am US Open haben Sie die Saison finanziell gerettet!
Das ist ganz klar so, deshalb habe ich es nötiger, hier zu spielen, als beispielsweise Belinda Bencic. Ich finde es mega schade, dass sie nicht hier ist. Wir sind eine coole Truppe, haben es so toll miteinander. Aber in ihrer Situation hätte ich wohl gleich entschieden. Ganz ehrlich: Die Perspektive tönte auch nicht schön: Ich liess mich schon vor dem Abflug testen. Als ich im Hotel ankam, durfte ich das Zimmer 24 Stunden nicht verlassen, bis der Test negativ war. Danach darf man in die Lobby, dort Spiele machen und so weiter. Nach 48 Stunden gibts den zweiten Test. Ist der auch negativ, gibts nur noch jeden vierten Tag einen Test. Ich kann ihn schon selber machen (lacht)!
Machen Sie es tatsächlich?
Ja, wirklich. Anfangs steckte mir eine Dame das Stäbli so hoch in die Nase, dass mir die Tränen kamen. So wie ich das vom Spital in Europa kenne. Aber jetzt kann ich’s allein – zwar nicht bei mir im Hotel, sondern überwacht und sie sagen mir, wie ich’s machen muss: 15 Sekunden im einen Nasenloch, dann 15 Sekunden im anderen, hoch reinstecken und drehen. Nein, es ist nicht gerade toll. Aber in welchem Job ist schon immer alles toll?
Was ist Ihr Ziel für diese US-Tour?
So weiterzumachen wie bis anhin. Ich habe momentan grosses Vertrauen in mich, und das ist die beste Voraussetzung.