Ihre Konkurrentinnen befanden sich längst im erholsamen Tiefschlaf, als Elena Rybakina (24) um 3 Uhr noch immer auf dem Platz stand. Die Kasachin feierte im Montreal-Viertelfinal zwar einen Sieg über Daria Kasatkina (26), kam aufgrund der späten Match-Ansetzung und der dreieinhalbstündigen Partie aber erst mitten in der Nacht ins Bett.
Danach hatte sie auch noch Pech mit Regenpausen und spielte erst wieder am Sonntag, an dem sie Halbfinal und Final hätte nacheinander bestreiten sollen. Doch so weit kam es nicht: Rybakina verlor gegen Liudmila Samsonova (24) 6:1, 1:6, 2:6 – und rechnete dann mit den Veranstaltern ab: «Ich fühle mich zerstört wegen der Terminierung.»
Mehr Tennis
Die Wimbledonsiegerin von 2022 sieht die WTA in der Verantwortung: «Die Führung ist momentan etwas schwach. Hoffentlich ist es das letzte Mal, denn es war wirklich ein bisschen unprofessionell.» Als Spielerin fühle sie sich machtlos und den Organisatoren ausgeliefert.
Und sie ist mit dieser Meinung nicht alleine. Bereits in Rom und Madrid ärgerten sich die Tennis-Stars über nächtliche Anstrengungen. Dann sprachen einige von ihnen an den French Open Klartext: Coco Gauff (19) erklärte, dass wohl «niemand» solche späten Partien freiwillig wolle. Weltnummer eins Iga Swiatek (22) deponierte gar bei der Turnierleitung, ausschliesslich zu Tageszeit spielen zu wollen. Und Alexander Zverev (26) bezeichnete Partien, die bis Mitternacht oder später andauern, als «nicht mehr gesund».
«Man wird verletzungsanfälliger»
Klar: Auch im durchkommerzialisierten Tennissport gehts um die Show; also um Ansetzungen zu attraktiven Zeiten für die TV-Anbieter, und um lukrative Night-Session-Tickets. Das ist längst Teil des Business und spült – nicht zuletzt auch für Exponenten wie Rybakina und Co. – viel Geld in die Kassen. Und doch sorgen (zu) späte Einsätze immer wieder für Ärger auf der Tour.
«Es wird dabei völlig über die Köpfe der Athleten hinweg entschieden», sagt Beni Linder, Headcoach Kondition bei Swiss Tennis: «Am Morgen um 3 Uhr kann man keine Spitzenleistungen erbringen.» Er verstehe Swiateks Einstellung, ihren Biorhythmus nicht gefährden und nur am Tag spielen zu wollen: «Wenn sie den Grossteil ihrer Tennisstunden im Jahr am Tag absolviert, ist weder der Körper noch das Gehirn eingestellt, in der Nacht gleichermassen zu funktionieren. Man wird verletzungsanfälliger. Und ebenso schlimm: Man fängt sich eine Art Jetlag ein, von dem sich niemand so schnell erholt. Endet eine Partie um 1 Uhr in der Nacht, ist der Athlet realistisch gesehen um 4 Uhr im Bett.»
«Krankhafte Entwicklung»
Patrik Noack, Arzt und Health Performance Officer des Swiss Olympic Team, bestätigt das erhöhte Verletzungsrisiko: «Schlaf ist immer noch das wichtigste Regenerationsmittel für Sportler. Solche Rhythmusänderungen können letztlich auch zu Störungen des Schlafs führen.» Er verweist auf Studien, die zeigten, dass wer weniger als acht Stunden schläft, 1,7 Mal mehr verletzt ist als andere Athleten, die ganz normal schlafen.
Ausserdem könne auch die Verpflegung mitten in der Nacht ein Problem für den Körper darstellen. Und: «Je nach Ort, ist es auch nicht einfach, sich um diese Uhrzeit überhaupt noch hochwertige Ernährung zu besorgen.»
Fitness-Experte Linder bezeichnet die immer späteren Match-Ansetzungen als «krankhafte Entwicklung»: «So machst du die Athleten kaputt.» Und auch Swiatek, die in Cincinnati ihrer Konkurrentin Rybakina in dieser Thematik zur Hilfe geeilt ist, meint: «Vielleicht sollten wir uns mehr darauf fokussieren, was für die Spielerinnen gesund ist.» Sie habe Daten von der WTA angefordert, «um zu sehen, ob sich die Leute Spiele ansehen, die nach 22 Uhr beginnen». Antwort habe sie keine erhalten. Gleichwohl hofft und kämpft sie weiter: «Ich wünschte, diese Situation könnte sich ändern. Das ist alles.»