Über ein Jahr lang sind Carlos Alcaraz und Novak Djokovic umeinander herumgetänzelt. Wie zwei Gladiatoren kurz vor dem Kampf in der Arena; die Klingen wetzend, die Spannung in die Höhe treibend.
Über ein Jahr ist es her, seit sich die beiden das bisher einzige Mal gegenüberstanden. Das war beim Masters-Turnier in Madrid. Damals war der junge «Carlitos» im Begriff, die grossen Stadien der Tennis-Welt zu erobern. Der Spanier schlug Djokovic auf dem Weg zu seinem Heimtitel in drei packenden Sätzen 6:7, 7:5, 7:6 – und sollte damit eine prickelnde Ausgangslage für künftige Duelle schaffen.
Ein Geschenk für Tennis-Liebhaber
Doch die Turnierplanung, das Los oder Verletzungen verhinderten weitere Aufeinandertreffen der beiden, während sie sich auf dem ATP-Thron immer wieder abwechselten. Bis jetzt in Paris!
Der Halbfinal auf Grand-Slam-Stufe ist die Belohnung, ein Geschenk für jeden Tennis-Fan, der sich so lange gedulden musste. Alcaraz bringt es gleich selber treffend auf den Punkt: Es sei «das Spiel, das jeder sehen will». Denn: Es geht um weitaus mehr als bloss um den Finaleinzug an den French Open.
Die glorreichen «Big 3», also Roger Federer, Rafael Nadal und Djokovic, haben die letzten beiden Jahrzehnte geprägt und dominiert. Sie haben drei, vier nachkommende Generationen, die ihnen vermeintlich hätten gefährlich werden sollen, in die Schranken gewiesen. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen.
Es ist nur noch Djokovic übrig
Doch jetzt, im Aufschwung einer spannenden jungen Garde, scheint sich ein junger Mann aus El Palmar anzuschicken, sich auf das gleiche Niveau zu hieven: Carlos Alcaraz könnte einer sein, der Ähnliches vollbringen kann wie die Legenden dieses Sports.
Endlich haben wir auf der ganz grossen Bühne von Paris einen echten Vergleich. Federer ist bereits abgetreten, beim verletzten Nadal gibts zig Fragezeichen, ob er je wieder zurückkehrt, geschweige denn auf sein altes Level.
Also bleibt nur noch Djokovic als Gradmesser für die neue, hungrige Generation. Auch er hat seine Primetime als 36-Jähriger hinter sich, doch er tritt immerhin als amtierender Australian-Open-Sieger in Roland Garros an, als der Mann, der hier mit seinem 23. Grand-Slam-Titel den alleinigen Rekord aufstellen könnte.
Vielleicht die letzte Chance auf eine sportliche Ablösung
Schlägt Alcaraz jetzt Djokovic bei einem Grand-Slam-Turnier, im Fünfsätzer-Territorium, in dem sich der Serbe so wohlfühlt, dann wäre das eine echte Ansage. Wir würden alle Zeugen einer möglichen Wachablösung werden. Ein neuer Superstar, der auf einen alten folgt.
Jetzt ist sie da, die Möglichkeit für Alcaraz, einen Nagel einzuschlagen. Denn es wird künftig ein Leichtes sein, zu sagen, das Niveau der «Big 3» sei erreicht oder übertroffen – ohne je gegen sie angetreten zu sein. Alcaraz bietet sich nun die Chance, einen noch fitten und starken Djokovic abzulösen. Wer weiss, ob es seine letzte ist.