Mirra Andreeva spricht erst seit wenigen Wochen in regelmässigen Abständen mit der Weltpresse, doch ihre Auftritte in Fernsehen und Pressekonferenzen haben einen derart hohen Unterhaltungswert, dass es sich längst herumgesprochen hat. TV-Stationen nutzen jede Gelegenheit, sie zum Talk einzuladen. Die Medientermine in Roland Garros sind genauso stark besucht wie jene von einem Novak Djokovic (36) oder einer Iga Swiatek (22).
Das ist so, weil das Mädchen, das erst vor einem Monat ihren 16. Geburtstag feierte, so frisch von der Leber weg redet. Mit ihrem Charisma zieht sie die ganze Tennis-Szene in ihren Bann.
Da war beispielsweise ihre viral gegangene Schwärmerei für den «im echten Leben so wunderschönen» Andy Murray (36). Oder jüngst in Paris die Frage nach ihrem Vorbild, deren Antwort sie auf ihre eigene Art versuchte, aufzudröseln: Eigentlich sei Roger Federer (41) immer ihre Nummer eins gewesen. Doch im letzten Jahr habe sie als Juniorin Rafael Nadal (37) getroffen – und der habe ihr auf einmal den Kopf verdreht. Also seien von da an beide Superstars ihre Idole gewesen. Wobei: Eigentlich wolle sie auch einen Djokovic nicht beleidigen. Also seien Stand jetzt Federer, Nadal und Djokovic allesamt an erster Stelle in ihrem Vorbild-Ranking. Alles klar?
Die «neue Scharapowa»
Andreeva stammt aus Krasnojarsk, zog später aber ans Schwarze Meer nach Sotschi, um ihre Tenniskarriere anzukurbeln. Mancherorts wird sie schon jetzt als die «neue Scharapowa» bezeichnet, weil auch die 2020 zurückgetretene Top-Spielerin früh für Aufsehen sorgte und wie sie aus Sibirien stammt.
Andreeva hat in diesem Frühling aus dem Nichts einen kometenhaften Aufstieg hingelegt. Beim Masters-Turnier in Madrid stiess sie sensationell bis in den Achtelfinal vor. An den French Open hat sie sich als Qualifikantin bis in die dritte Runde gespielt, scheiterte dort erst an Weltnummer sechs Coco Gauff (19) – mit 7:6, 1:6, 1:6. Ihrem riesigen Potenzial tut dies allerdings keinen Abbruch. Sie hat mit Siegen gegen Top-20-Spielerinnen schon jetzt gezeigt, dass mit ihr ab sofort zu rechnen ist.
Noch im April tingelte der Teenie von einem kleinen ITF-Turnier zum nächsten. Sie gewann die Bewerbe in Chiasso und Bellinzona – und traf dort beide Male auf Céline Naef (17/WTA 197), die als grösste Schweizer Nachwuchshoffnung bei den Frauen gilt, in Paris aber in der Quali hängenblieb.
Andreeva setzte sich in beiden Duellen durch, wobei Naef im Final von Chiasso Matchbälle für den Sieg gehabt hätte. Die Schwyzerin zeigt sich beeindruckt ob des Levels ihrer Kontrahentin: «Mirra hat sich in den letzten sechs Monaten sehr gut entwickelt. Man findet Stand heute weltweit keine in diesem Alter, die so gut Tennis spielt.»
Die verlorene Finalpartie auf Augenhöhe (6:1, 6:7, 0:6) stimme sie aber zuversichtlich: «Ich war sehr nahe dran. Das zeigt mir, dass ich ebenfalls auf sehr gutem Weg bin – ich freue mich auf weitere Duelle mit ihr und hoffe, dass ich auch bald vermehrt auf der grossen Bühne spielen darf.»
«Ich glaube, ich bin ganz nett»
Andreeva hat diesen Sprung in rekordverdächtiger Zeit geschafft. In Paris feierte sie ihren Zweitrundensieg über die Französin Diane Parry (20) auf dem Court Simonne-Mathieu, mit 5000 Plätzen immerhin das drittgrösste Stadion in Roland Garros. Danach spielte sie das Duell mit Gauff auf dem Court Suzanne-Lenglen, der Nummer zwei auf der Anlage (10’000). Dies, nachdem sie das zuvor im Scherz von den Veranstaltern gefordert hatte.
Andreevas Aussagen sind stets direkt, teilweise erstaunlich reflektiert für ihr Alter – aber manchmal auch unbekümmert frech. Wie jene über ihre Träume: «Wie viele Grand-Slam-Titel hat Djokovic? 22? Dann sind 25 mein Ziel.» Oft schiebt sie ihren Worten ein verschmitztes Lächeln hinterher, sodass die Frage offen bleibt, ob das nun ihr Ernst war, ein Hauch von Naivität, ein Scherz oder schlicht die Wahrheit.
Dieses Schulfach liegt ihr gar nicht
Abgehobenheit läge ihr allerdings fern: «Ich glaube, ich bin ganz nett. Ausserdem bekäme ich von meinem Coach etwas zu hören, wenn ich eine Diva wäre», sagt die junge Russin, die in Cannes an derselben Akademie trainiert wie die Schweizer Turnier-Überraschung Simona Waltert (22/Out in Runde zwei).
Mit der Schule halte sie es im Übrigen nicht so. Mathematik und Englisch seien okay. Chemie gehe gar nicht: «Die Hausaufgaben? Mache ich ehrlich gesagt nicht immer.» Hier dringt wieder der Teenager in ihr durch. Wie etwa auch im Spiel gegen Gauff, als sie eine Verwarnung bekam, weil sie einen Ball auf die Tribüne schlug (und dies hinterher als «blöden Move» bezeichnete).
Andreeva ist stets gut für ein knackiges Zitat zu allem und jedem. Wobei: Noch wird sie als zu jung eingestuft, um Fragen zum Krieg in der Ukraine zu beantworten – doch mit zunehmendem Erfolg wird sie sich ihnen nicht mehr entziehen können. Und auch dann wird die Tennis-Welt wieder ganz genau hinhören.