Marc Rosset, die ATP und WTA haben entschieden, in Wimbledon keine Punkte zu vergeben. Was halten Sie davon?
Das ist eine sehr gute Entscheidung.
Warum?
Weil ich es hasse, den Sport und die Politik zu vermischen. Ich habe viele russische Freunde. Marat Safin zum Beispiel, der gegen den Krieg ist. Ich empfinde eine russenfeindliche Stimmung, die übertrieben ist. Wenn man auf die letzten 30, 50 Jahre zurückblickt, ist das nicht das einzige Land, das in den Krieg gezogen ist.
An welche Beispiele denken Sie?
Die USA im Vietnam und Irak, Frankreich in Libyen, der Krieg in Kroatien und Serbien. Auch die Sachen, die immer wieder in Afrika passieren. Während der Apartheid durften die südafrikanischen Spieler in Wimbledon antreten. Sie wurden nicht davon abgehalten, obwohl die Schwarzafrikaner in Südafrika geschlagen und als Sklaven gehalten wurden. Darum weiss ich nicht, warum man Medwedew davon abhalten sollte, weil die Russen in den Krieg gezogen sind. In einer idealen Welt würde ich den Sport und die Politik immer trennen. Der Sport hat manchmal genau die Möglichkeiten, die Leute zu vereinen.
Das heisst, für Sie reichen die bisherigen Massnahmen aus? Dass ihre Flaggen nicht mehr gezeigt werden und man ihre Hymne nicht mehr spielt.
Ich bin voll damit einverstanden, dass man ihre Flagge nicht mehr zeigt. Ich bin auch froh, dass die ATP und WTA das entschieden haben, weil man auch langfristig denken muss. Wenn man Wimbledon erlaubt, dies zu entscheiden, weiss man nicht, ob die US Open dies auch machen.
Würde dieses Risiko bestehen?
Ja, man würde einen Präzedenzfall schaffen, der es einem Grand Slam erlaubt, in den nächsten Jahren das Gleiche zu tun. Die ATP hat jetzt gesagt: «Macht, was ihr wollt, aber ihr bekommt keine Punkte.»
Hätte Wimbledon anders entscheiden können?
Ich glaube nicht wirklich, dass es Wimbledon allein entschieden hat. Ich glaube eher, dass die britische Regierung Druck aufgebaut hat. Wimbledon hat bei der Pressekonferenz gesagt, dass die russischen Spieler das Turnier als Propaganda nutzen können. Ganz ehrlich – als ich hier den Halbfinal gespielt habe, habe ich an mich gedacht, nicht an die Schweiz. Wenn ich den Davis Cup spiele, vertrete ich die Schweiz. Wenn Medwedew die US Open gewinnt, denkt er an den Grand-Slam-Sieg, dass er 2000 Punkte gewonnen hat, vielleicht die Nummer 1 wird und drei Millionen US-Dollar gewonnen hat. Ich glaube nicht, dass er sich «Los Russland» oder «Los Putin» denkt. Beim Davis Cup ist es anders. Da verstehe ich, dass sie nicht antreten dürfen.
Gibt es weitere sportliche Leidtragende dieser Entscheidungen?
Für die Spieler auf den Rängen der Region 100 wird es jetzt schwierig. Die grossen Spieler wie Djokovic werden jetzt einfach das Turnier bestreiten, weil es Wimbledon ist. Laaksonen würde zum Beispiel fix bei den US Open dabei sein, wenn er zwei Runden in Wimbledon übersteht. Es geht nicht ums Geld, sondern um die besseren Ränge.
Jil Teichmann hat gesagt, dass Wimbledon für sie nur noch ein Exhibition-Turnier sein würde. Wie sehen Sie das?
Ich kann solche Aussagen verstehen. Wenn hier in Paris 128 Spielerinnen antreten, gibt es fünf bis zehn, die mit der Ambition anreisen, das Turnier zu gewinnen. Es ist normal, dass du als 30. sagst: «Ich überstehe ein paar Runden, sammle keine Punkte, aber verdiene etwas Geld. Somit ist es ein Exhibition-Turnier.» Aber das heisst, es fehlt dir an Ambition. Wenn du Wimbledon gewinnst, hast du keine Punkte, aber du hast Wimbledon gewonnen! Es ist nicht so, dass das Turnier nicht zählt. Ich bin nicht einverstanden, zu sagen, dass es ein Exhibition-Turnier ist.
Ist es ähnlich wie bei Ihrem Olympiasieg?
Ja, ich habe die Olympischen Spiele gewonnen und es hat mir null ATP-Punkte eingebracht. Ich habe damit auch nichts verdient. War es ein Exhibition-Turnier? Nein. Es ist ein Titel – der grösste Titel –, den ich bis ans Ende meiner Tage behalten werde.