Cincinnati-Finalistin Jil Teichmann im grossen Interview vor den US Open
«Ich bin zu 300 Prozent Schweizerin, eine typische noch dazu!»

Nach der erfolgreichsten Woche ihrer Karriere noch immer auf Wolke sieben, will Jil Teichmann weiter über die US Open schweben. Im Interview mit SonntagsBlick spricht die 24-Jährige über ihr Leben, ihre Träume und über Freundschaften.
Publiziert: 29.08.2021 um 19:28 Uhr
|
Aktualisiert: 29.08.2021 um 20:25 Uhr
1/7
Jil Teichmann (24) strahlt, sie hat eine tolle Woche in Cincinnati hinter sich.
Foto: imago images/Shutterstock
Cécile Klotzbach

Jil Teichmann, haben Sie Ihre Siege in Cincinnati verdaut und genossen?
Jil Teichmann: Mit dem Organisieren meiner Anreise in New York, den Formalitäten, dem Testen und so weiter waren es zuletzt intensive Tage. Wir stecken hier zwar nicht mehr in der Bubble, sind etwas freier als sonst zu Pandemiezeiten. Aber vorsichtig müssen wir ja trotzdem sein, in unserem Interesse. Ob geimpft oder nicht, viel ändert sich aus Sorge vor der Delta-Variante nicht. Wir sind im Hotel oder auf der Anlage – schliesslich sind wir zum Arbeiten da. Aber ja, es immer noch ein unglaubliches Gefühl. Die letzte Woche machte so viel Spass – ich würde es grad wieder machen!

Sie können es bei den US Open wieder machen. Kommt nun die Zeit des Grand-Slam-Durchbruchs?
Jeder hofft da, gut zu spielen und viele Runden zu überstehen. Klar, ich nehme viel Selbstvertrauen aus Cincinnati mit. Doch leider ist in Flushing Meadows ziemlich egal, was ich vorher geschafft habe. Es beginnt alles wieder bei Null. Aber ich bin parat.

Haben Sie Druck, weil Sie auf höchster Stufe im Hauptfeld erst einen Sieg buchen konnten?
An Grand Slams haben alle immer mehr Druck, deshalb gibt es auch oft komische Resultate. Jeder spielt Tennis, um zu gewinnen. Da kannst du jedes Kind fragen, sicher kommt nie die Antwort: «Ich will mal in die Viertelfinals eines Grand Slams.» Das ist wie mit der Weltrangliste – niemand träumt von den Top-100, sondern von der 1.

Teichmann siegt gegen Pliskova – und steht im Final!
1:07
Noch ein Coup in Cincinnati:Teichmann siegt gegen Pliskova – und steht im Final!

Wie waren die Reaktionen auf Ihren jüngsten Erfolg?
Mein Handy ist letzte Woche explodiert! Die schönsten Messages, die mich am meisten berührten, kamen von meinem engsten Kreis. Von denen, die wissen, was ich die letzten vier Monate durchleben musste. Sie waren da, als es mir nicht gut ging, wenn ich weinen musste. Und jetzt sind sie da, um sich mit mir über meinen grössten Erfolg zu freuen.

Kam der Erfolg nach dem schwierigen Sommer mit vielen Verletzungen auch für Sie überraschend?
Ich hatte viel Pech, eine Verletzung jagte die andere. Aber davor hatte ich schon ein gutes Level und spürte, dass die Puzzleteilchen zusammenkamen. Es war dann nur wichtig, hart zu arbeiten und wieder die richtige Schiene zu finden. Ich wusste, dass ich das in mir habe und war deshalb nicht so überrascht. Ich brauchte einfach wieder eine Chance, um es zu zeigen, die habe ich in Cincinnati bekommen und gut genutzt.

Hat sich vielleicht auch gerade die Pause im Sommer positiv ausgewirkt?
Ich versuche immer, in allem Gutes zu sehen. Weil ich verletzt war, bekam ich Chancen für andere Dinge, konnte mich da stärken, wofür ich sonst weniger Zeit habe. Physisch und mental, Tennis ist ein komplexer Sport, der Kopf ist genauso wichtig wie der Körper. Ähnlich war es mit der Corona-Pause: Ich hatte Glück, anders als beispielsweise in Spanien durften wir in der Schweiz viel. Jeden Tag war wie ein Sonntag – alles zu, aber du darfst raus (lacht). Ich konnte jeden Tag trainieren, meistens mit Viktorija Golubic. In solchen Zeiten kann man heulen und hadern oder die gewonnene Zeit nutzen. Wer intelligent ist, macht Letzteres.

Ihre spanischen Wurzeln sind immer wieder Thema. Was sind Sie nun mehr – Spanierin oder Schweizerin?
Auch wenns mir niemand glaubt: Ich fühle mich zu 300 Prozent als Schweizerin! In Spanien ging ich auf eine Schweizer Schule, dort hatte ich den ganzen Tag Schweizer Kultur und Atmosphäre um mich, die Lehrer waren Schweizer, wir sprachen dort und zu Hause Schwiizerdütsch. Ich wuchs also sozusagen in einer Schweizer Bubble auf.

Sie wirken vom Temperament her trotzdem spanisch …
Ich verstehe die Leute, die das denken, aber es fliesst kein spanisches Blut durch meine Adern. Meine Eltern sind aus Zürich, aber als wir in die Schweiz kamen, zogen sie und mein jüngerer Bruder wegen mir nach Biel. Darum habe ich auch einen so komischen Akzent – weder Züridütsch noch Bern- oder Bieldütsch, ein Mischmasch halt.

Als Spanisch Sprechende haben Sie bestimmt einen guten Draht zu anderen Spaniern auf der Tour.
Ich wuchs mit vier Sprachen auf, Katalanisch kam auch noch dazu. In Biel lernte ich Französisch, auf Reisen Englisch. Auf der Tour bin ich Schweizerin, eine typische noch dazu. Dass ich in Barcelona trainiere, ergab sich zufällig, weil ich da viele Leute kenne.

Dort wurden Sie auch im Tennis ausgebildet, oder?
Klar, weil ich dort aufwuchs. Aber die wichtigste Phase meiner Ausbildung hatte ich bei Swiss Tennis in Biel. Von 14 bis 18 stand ich dort jeden Tag auf dem Platz, das ist die Zeit, in der du geformt wirst. Dort hat man mir so viel geholfen, und ich bin sehr dankbar für die Unterstützung, die ich auch heute noch spüre. Ich bin in Biel jederzeit willkommen, sie glauben dort an mich. Biel ist wie mein Zuhause – dort ging ich ins Gymi, dort habe ich viele Kollegen, dort findet auch der Fed Cup statt.

Haben Sie das Gymi abgeschlossen?
Nein, leider nicht, nach der zehnten Klasse brach ich ab, es brauchte zu viel Zeit neben dem Tennis. Aber ich schliesse nicht aus, dass ich es irgendwann wieder aufnehme und abschliesse. Wer weiss? Ich bin sehr offen für alles und nicht jemand, der seine Zukunft weit voraus plant.

Bleiben wir bei Ihrem Charakter – wie beschreiben Sie sich selbst?
Ich bin ein sehr fröhlicher Mensch. Mache gerne spontane Dinge, Ausflüge und Restaurantbesuche mit Kolleginnen. Ich würde gerne reisen, aber privat, nicht fürs Tennis – das mache ich dann hoffentlich mal später. Wenn ich nicht fürs Tennis unterwegs bin, habe ich nicht dieses eine Hobby. Dann pflege ich Freundschaften, bin einfach gerne ein normaler Mensch, der sich noch über vieles andere freut.

Haben Sie viele Freundschaften ausserhalb des Tenniszirkus?
Ja, die meisten haben mit Tennis gar nichts zu tun. Viele lernte ich in Biel während der Corona-Zeit kennen. In Barcelona habe ich auch noch Freundinnen von der Schule, die haben keine Ahnung vom Tennis. Das engste Verhältnis auf der Tour habe ich mit Vicky Golubic – sie ist wie eine ältere Schwester für mich.

Was ist mit einer Beziehung?
Wenn sie sich ergibt, ist sie willkommen, ich bin absolut nicht dagegen. Es ist nicht leicht, erst recht nicht in dieser Corona-Zeit. Aber kein Stress, im Moment ist Tennis meine Priorität, man ist ja nicht bis 50 Profi (lacht).

Persönlich

Jil Teichmann (24) wurde in Barcelona, Spanien, geboren, wo der Vater beruflich im Verkauf tätig war. Im Alter von 14 zog die Familie zurück in die Schweiz, liess sich in Biel nieder, wo Jil ihre Tennisausbildung bei Swiss Tennis genoss. Seit 2013 ist die begeisterte Fed-Cup-Spielerin Profi. Bis letzte Woche in Cincinnati, wo sie mit Naomi Osaka, Belinda Bencic und Karolina Pliskova drei Topstars schlug, realisierte sie ihre grössten Erfolge 2019 auf Sand mit ihren beiden WTA-Titeln in Prag und Palermo. Seit dieser Zeit ist sie auch ihrem Team treu, das aus zwei Trainern – Aranxa Parra und Alberto Martin – sowie Fitnesscoach Toni Martinez besteht. Im Ranking steht Jil heute auf Platz 44 und damit nahe ihrer besten Klassierung (40 im letzten April).

Jil Teichmann (24) wurde in Barcelona, Spanien, geboren, wo der Vater beruflich im Verkauf tätig war. Im Alter von 14 zog die Familie zurück in die Schweiz, liess sich in Biel nieder, wo Jil ihre Tennisausbildung bei Swiss Tennis genoss. Seit 2013 ist die begeisterte Fed-Cup-Spielerin Profi. Bis letzte Woche in Cincinnati, wo sie mit Naomi Osaka, Belinda Bencic und Karolina Pliskova drei Topstars schlug, realisierte sie ihre grössten Erfolge 2019 auf Sand mit ihren beiden WTA-Titeln in Prag und Palermo. Seit dieser Zeit ist sie auch ihrem Team treu, das aus zwei Trainern – Aranxa Parra und Alberto Martin – sowie Fitnesscoach Toni Martinez besteht. Im Ranking steht Jil heute auf Platz 44 und damit nahe ihrer besten Klassierung (40 im letzten April).

Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?