Eigentlich wollte er am Sonntag ja auf die Ski – ein Hobby, das Roger Federer zugunsten seiner langen Karriere stets vernachlässigt hat. «Aber zeitlich lag das dann doch nicht drin», sagt er grinsend. Es ist gegen Mitternacht. Und wie eh und je lässt der Tennis-Superstar einen Interview-Marathon über sich ergehen, posiert für unzählige Selfies. Nachdem er an der Sports-Awards-Gala den Ehrenpreis für seine glorreichen Erfolge in Empfang nehmen durfte. «Eine Riesen-Ehre», sagt der 41-Jährige brav, «zumal diese Auszeichnung seit 15 Jahren und Adolf Ogi nicht vergeben wurde.»
Anzumerken ist ihm aber, dass er noch lieber – wie in den vergangenen Jahren zehnmal – den Preis für ein sportliches Aktivjahr erhalten hätte. Der ging jedoch bei den Frauen an Mujinga Kambundji und Marco Odermatt bei den Männern. Und wegen Federers Präsenz wird die Wahl zu Sportlerin und Sportler des Jahres – der Höhepunkt des jährlichen Dezember-Events – beinahe etwas zur Nebensache.
Der Maestro stiehlt allen die Show
Die Lichtgestalt des Schweizer Sports stellt einmal mehr alle in den Schatten. Nicht, dass es ihm jemand verübeln würde – sogar die anderen Sportgrössen fühlen sich nur schon geehrt, mit King Roger im gleichen Saal aufzutreten. Und nicht, dass dies Federers Absicht wäre.
Im Gegenteil: Es ist ihm nicht ganz recht, nach einer zeitlich eh schon überstrapazierten Sendung zu später Stunde noch der Mittelpunkt auf der Bühne zu sein. Emphatisch sagt er auch: «Es tut mir stets leid, dass nur einer die Auszeichnung gewinnt und die anderen als Verlierer dastehen – alle Nominierten haben sie für ihre Leistungen verdient.»
Die Luxus-Probleme eines Roger Federer. Kommt er nicht, würde nach seinem Rücktritt beim Laver Cup in London vor rund 100 Tagen immer noch zähneknirschend auf einen offiziellen Heimabschied gewartet. Kommt er doch, stiehlt er anderen die Show. Eine Live-Schaltung wurde ihm angeboten – so, wie er sie schon etliche Male während seiner Saisonvorbereitung aus Dubai gemacht hat. «Aber ich finde, aus der Schweiz sollte man das nicht machen», erklärt Roger. Und diesmal steht besonders Olympia-Abfahrtssiegerin Corinne Suter im Abseits, die sich eine Viertelstunde vorher aus St. Moritz live zuschalten liess...
Überraschungsgast kommt durch die Nebentüre
Nun gut, das SRF, die Fernseh-Zuschauer, die Nominierten, die Journalisten und das Publikum – bestimmt auch Eishockey-Nationalcoach Patrick Fischer, der sein Sitznachbar im Studio 1 ist – freuts, dass der Maestro in Person vor Ort ist. Sogar erst noch zu früh kam, was die Organisatoren zum Improvisieren nötigt. Denn eigentlich sollte Federer während der Sendung unerwartet mit Pauken und Trompeten präsentiert werden. Doch er fuhr schon eine halbe Stunde vor Sendestart vor.
So lud man ihn spontan ein, die Sendung auf den Zuschauersitzen zu verfolgen. Der Überraschungsgast wurde durch die Nebentüre im Leutschenbach eingeschleust. Nicht, um die Medien und den «Goldenen Teppich» zu umgehen, wohlgemerkt. «Jetzt rede ich ja trotzdem mit Euch», witzelt Roger später ins Blick-TV-Mikrofon. Und er scherzt weiter: «Anders als in Wimbledon, liess man mich hier wenigstens ohne Probleme rein.»
Dass er vor den Toren des heiligen «All England Club» vom Sicherheitspersonal ausgebremst wurde, hatte Federer letzte Woche bei Late-Night-Show-Talker Trevor Noah verraten. Er war auch in New York, um ein NBA-Match der Brooklyn Nets anzusehen. «Grossen Sport als Fan zu verfolgen, ist eines der Dinge, die ich nach der Tennis-Karriere nun geniesse», sagt er. Natürlich wolle auch seinen vier Kids ein guter Papi sein.
Von wegen ruhiger Dezember
Ein gefragter Papi, der seinen Star-Status mitnichten verloren hat – weshalb er auch weiterhin eifrig durch die Welt jettet. Vor New York spielte er in Japan für seinen Ausrüster Uniqlo einen Showmatch. Und er begleitete seine Familie nach Genf, wo er selbst einem Sponsoren-Termin nachging und Ehefrau Mirka mit Zwillingen beim Traditionslauf «Course de l'Escalade» mitmachten. Noch vor der intensiven Familien-Weihnacht stehe nächste Woche ein Trip nach Paris an.
Und dazwischen dieser Spontan-Auftritt in Zürich. «Eigentlich hat sich seit meinem Rücktritt gar nicht viel verändert», konstatiert Federer, der nach wie vor auch trainiert, um fit zu bleiben. «Vielleicht kommt irgendwann noch der Absturz. Aber im Moment fühle ich mich total gut.» Sagts, und verschwindet zum After-Party-Drink in den grossen Saal. Zum nächsten Selfie-Marathon.