Lehrerin Heidi Infanger
Attinghauserstrasse 45, 6460 Altdorf
Exakt ein Kilometer vom Wilhelm-Tell-Denkmal entfernt lebt die Frau, welche mit dem jüngsten Schweizer Ski-Helden wahrhaftig Schule gemacht hat. Ihr Name: Heidi Infanger.
Die Urnerin war in Hergiswil Odermatts Lehrerin in der fünften und sechsten Klasse. Und obwohl der Sport schon damals im Zentrum von Marcos Leben stand, hat er von Frau Infanger regelmässig Bestnoten erhalten. «In meinen zwanzig Jahren als Lehrerin hatte ich keinen anderen Schüler, der in so vielen verschiedenen Bereichen so viel Potenzial hatte wie Marco», schwärmt die 44-Jährige.
«Obwohl er schon mit 12 in der Hauptsaison jede zweite Woche mehr auf der Skipiste als im Klassenzimmer anzutreffen war, haben seine schulischen Leistungen nie darunter gelitten. Marco ist derart intelligent, dass für ihn das Gymnasium ‹Nasenwasser› gleichgekommen wäre.» Im selben Atemzug hält Infanger aber fest, dass es für «Odi» bereits zu diesem Zeitpunkt nur ein Ziel gegeben hat: «Auf seinen Berufswunsch angesprochen, hat er mir immer gesagt, dass er Skirennfahrer werde.»
Dementsprechend habe sich das Ausnahmetalent auch im Mathematik-Unterricht verhalten. «Als ich meine Schüler einmal aufgefordert habe, sich selbständig eine Rechnungsaufgabe auszusuchen, hat Marco ausgerechnet, wie viele Schneeflocken es braucht, damit am Chuenisbärgli in Adelboden ein Skirennen ausgetragen werden kann …»
Marco ist seiner Lehrerin aber auch durch seine Schlitzohrigkeit in besonderer Erinnerung geblieben. «Er war der Anführer der Klasse. Und in dieser Funktion hat er die Grenzen des Erlaubten immer wieder ausgelotet. So hat Marco immer wieder versucht, mit einem Mätzchen ein paar Minuten Pause mehr herauszuschinden.»
Zum Ende der gemeinsamen Schulzeit hat Heidi Infanger mit einem Rollentausch aufgewartet – vor dem Klassenwechsel sollte der aussergewöhnliche Musterschüler seine «Paukerin» benoten. Marco stellte ihr folgendes Zeugnis aus: «Wenn wir zu spät kommen, sollten Sie ein bisschen ‹easyer› sein. Im Zeichnen haben Sie auch noch Potenzial. Im Sport haben Sie aber nicht mehr so viel. Und im Englisch sind Sie sehr gut.»
Der härteste Gegner Kean Mathis
Chilcherlisstrasse 4, Alpnach
Beim Holzbauer Küng arbeitet ein Zimmermann-Lehrling, der in seiner Kindheit sogar die Riesen-Hoffnung Odermatt noch überragte. Die Rede ist von Kean Mathis.
Ab dem 12. Lebensjahr gehörte er wie Marco an der Schule in Hergiswil zu der Klasse, in der besonders begabte Skirennfahrer gefördert werden. Später besuchten sie zusammen die Sportmittelschule in Engelberg. Obwohl Mathis ein Jahr jünger ist, war er Odermatt körperlich zeitweise enorm überlegen – mit 13 war er bereits 181 Zentimeter lang und hatte Schuhgrösse 47,5. Und weil er trotz seiner gigantischen Masse eine richtig feine Ski-Technik an den Tag legte, war der Urschweizer mit dem englischen Vornamen auch richtig schnell. Keane war in dieser Phase Marcos ultimativer Gradmesser.
«Wir haben damals ungefähr 250 Tage pro Jahr zusammen verbracht. Eine Playstation haben wir beide nie gebraucht, wir haben uns fast ständig in der Natur aufgehalten. Wir haben nicht nur draussen zusammen trainiert, wir sind auch oft gemeinsam zum Bräteln in den Wald gegangen. Das war eine wunderbare Zeit.»
Doch während Odermatt seinen sportlichen Aufstieg in rasanter Manier fortsetzen konnte, musste Mathis seinen Traum von einer grossen Ski-Karriere im März 2017 beerdigen. «Ich hatte einige schwere Verletzungen. Zuerst hatte ich einen Oberschenkelbruch. Und dann hatte ich auch noch einen Sturz, bei dem es mir ein Knie komplett verdreht hat. Danach konnte ich beim Skifahren meine innere Blockade nicht mehr überwinden.»
Jetzt ist der mittlerweile 1,88 Meter grosse Mathis aber wieder richtig glücklich. «Die Arbeit als Zimmermann erfüllt mich mit grosser Zufriedenheit. Und ich freue mich wahnsinnig, dass es mit Marco einer meiner Weggefährten an die absolute Weltspitze geschafft hat. Macht er so weiter, holt er die Kugel nächste Saison.» Natürlich ist Keane auch Mitglied in Odermatts Fanklub.
Mental-Trainerin Monika Wicki-Hess
Roggerliweg 7, 6052 Hergiswil
Hier residiert mit spektakulärem Blick auf Pilatus und den Vierwaldstättersee ein besonders namhaftes Paar: FDP-Ständerat Hans Wicki (57) und seine Gattin Monika, die in den 80er-Jahren mit ihrem Mädchennamen Hess im Ski-Weltcup Akzente gesetzt hat (Sieg bei der Kombination in Megève 1986, 3. beim Slalom in Sestriere 1983).
Nach ihrer Rennfahrer-Karriere hat die Cousine der zweifachen Gesamtweltcupsiegerin Erika Hess die Ausbildung zur Mental-Trainerin gemeistert. Seit September 2015 arbeitet die 56-Jährige in dieser Funktion mit Odermatt zusammen.
«Marco absolviert zwischen April bis Dezember drei bis fünf Trainings-Sessions mit mir», erzählt die Frau, welche 1984 im Olympia-Slalom den elften Rang belegt hat. Aber natürlich gehe Odermatts Mental-Training weit über diese vier Einheiten mit ihr hinaus. «Marco arbeitet im mentalen Sektor genauso intensiv wie im skitechnischen oder im konditionellen Bereich.» Den grössten Teil des kopflastigen Trainings könne er aber im Alleingang bewältigen.
«Ich versuche, jedem Athleten zu vermitteln, dass er ein mentales Problem selber lösen kann. Ich gebe ihm dafür aber ein paar Methoden mit auf den Weg, die wie ein Werkzeugkasten sind, in dem er das passende Instrument zur Lösung seiner Probleme findet.»
Und mit der eindrücklichen Reaktion nach der Riesen-Enttäuschung bei der WM in Cortina hat Odermatt Monika Wicki-Hess einmal mehr gezeigt, dass er auch in diesem Bereich das richtige Werkzeug besitzt. «Marco ist ein begnadeter Analytiker», betont Monika. «Vor der Analyse lässt er aber nach einer Enttäuschung wie beim Out im WM-Riesenslalom seinem Frust in gebührender Manier freien Lauf, ehe er mit ein paar Tagen Abstand die entsprechende Ursachenforschung betreibt. Danach versteht er es meisterhaft, auch aus einem Misserfolg positive Schlüsse zu ziehen, und setzt sich ein klares, neues Ziel. Das Vergangene ist ab diesem Moment dann auch wirklich abgehakt. Und deshalb gibt es dann auch keine schlechten Gedanken mehr, die ihn beim nächsten Rennen einbremsen können.»
Götti Paul Odermatt
Sonnenbergstrasse 11, Hergiswil
An den Gestaden des Vierwaldstättersees treffen wir den Mann, welcher mit Marco im Winter 2002 ein denkwürdiges «Riesenslalom-Doppel» abgeliefert hat – es ist sein Götti, Onkel und Fanklub-Präsident Paul Odermatt.
«Das war auf einer Piste in Lungern-Schönbühl», erinnert sich der Bruder von Marcos Vater Walti. «Die JO-Fahrer haben dort Riesenslalom trainiert und natürlich wollte auch Marco durch die Tore kurven. Weil er meiner Meinung nach noch zu klein für diesen Kurs war, habe ich ihn zwischen die Beine genommen. Nachdem wir diesen Lauf mit der nötigen Vorsicht in Angriff genommen haben, hat Marco schnell reklamiert und ständig gerufen: ‹Schneller Götti, bitte viel schneller!›»
Es gibt aber noch eine Geschichte aus Marcos frühester Kindheit, die Götti Paul nie vergessen wird. «Während wir Erwachsenen nach einem Skirennen auf der Klewenalp ins Restaurant gegangen sind, ist Marco draussen geblieben, weil er weiter Ski fahren wollte. Nach ein paar Stunden haben wir uns alle gefragt, wo er wohl bleiben wird. Und als er dann irgendwann weinend in die Gaststube hineinkam, haben wir befürchtet, dass irgendetwas Schlimmes passiert sei.» Und was ist denn passiert? «Marco war ganz einfach traurig, weil um 16.30 Uhr der Skilift abgestellt wurde. Das war für ihn, wie wenn man ihm soeben das liebste Spielzeug weggenommen hätte.»
Erster Profi-Trainer Rumo Lussi
Stansstaderstrasse 54, 6371 Stans
Rumo Lussi ist vom Kanton als Administrator für Jugend und Sport angestellt. In den frühen 2000er-Jahren war es massgeblich an der Auslösung des Ski-Wunders im Mini-Kanton mit 43'000 Einwohner beteiligt.
Die Nidwaldner haben damals als erster Kantonalverband in der Schweiz einen Profi-Trainer für den Nachwuchs engagiert. Und das war eben Rumo Lussi. Nachdem er bereits den Hergiswiler Reto Schmidiger zum Junioren-Weltmeister modelliert hatte, wurde ab dem zwölften Lebensjahr auch der Buochser Odermatt von Lussi gefeilt. Und dieser macht keinen Hehl daraus, dass ihm Marco nicht nur Freude bereitet hat.
«Ich denke da vor allem an einen Riesenslalom in Sörenberg», beginnt Lussi seine Geschichte. «Zwischen den Läufen hat Marco mit ein paar Kollegen einen ‹Kicker› gebaut, welcher über einen Ziehweg geführt hat, auf dem anderer Skifahrer unterwegs waren. Ich habe die Mädchen beobachtet, die ganz fasziniert zugeschaut haben, wie Marco und seine Kumpels wie die Verrückten über diesen bevölkerten Weg gesprungen sind.»
In diesem Fall hat Rumo sofort interveniert. «Weil ich wollte, dass sich die Buben ordentlich auf den wichtigen zweiten Durchgang fokussieren.» Lussi gibt aber auch zu, dass er Marco in anderen vergleichbaren Situationen auch hat machen lassen. «Ganz einfach deshalb, weil die Buben ja mit solchen Aktionen ihren Überwindungsfaktor positiv beeinflusst haben. Zudem haben sie dadurch neue Lösungen gefunden, um schwierige Situationen zu meistern.»