Bei keiner anderen Weltcup-Abfahrt ist die Chance auf einen Aussenseiter-Sieg so gross wie bei der Premiere auf der Gran Becca. Das ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass es auf dieser Piste keine Passage wie das Brüggli in Wengen oder den Hausberg in Kitzbühel gibt, wo die begnadeten Top-Stars mit ihrer Technik und Routine den Unterschied ausmachen können: Die Matterhorn-Abfahrt hat viele Gleitpassagen. Und dass der Finne Elian Lehto zu den herausragenden Gleitern gehört, hat der 23-Jährige mit dem sechsten Rang im ersten, komplett windstillen Training bewiesen. Was kaum jemand weiss: Der Skandinavier hat einen starken Bezug zur Schweiz.
Stark geprägt von Osi Inglin
Richtig geschliffen wurde der Sohn eines Rechtsanwaltes vom Schwyzer Osi Inglin, der von 2020 bis 2022 Cheftrainer der Finnen war. «Dass Elian auf den Ski grosses Potenzial hat, habe ich sofort gesehen. Aufgrund seiner verzerrten Wahrnehmung hat er mir in der Anfangszeit dennoch Sorgen gemacht», gesteht Inglin. «Elian hat bereits vor vier Jahren geglaubt, dass er für die ganz grossen Aufgaben im Weltcup bereit sei. Dabei war er damals weit davon entfernt, ein Top-Athlet zu sein. Er war zu bequem, um im Ausdauer- und Krafttraining richtig hart anzupacken.»
Mehr über Gran Becca
Um Lehto aus der Komfortzone zu holen, hat sich Inglin etwas ganz Besonderes einfallen lassen: «In Finnland muss jeder Athlet bei Leistungstests eine Limite erfüllen, damit er bei den Trainings-Camps des Verbands teilnehmen kann. Dieser Richtwert war bei meinem Dienstantritt so tief, dass ihn Lehto trotz Bequemlichkeit relativ locker erreicht hat. Deshalb habe ich diese Limite in die Höhe geschraubt.» Diese Massnahme hat sich als Volltreffer erwiesen. «Im ersten Test ist Elian zwar gescheitert. Ich habe ihm danach aber noch eine Chance gegeben. Der Bursche hat dann so hart trainiert, dass er den zweiten Test bestanden hat.»
Finnlands Kooperation mit Swiss-Ski
Im letzten Winter wurde die harte Arbeit erstmals mit Weltcup-Punkten belohnt - bei der Abfahrt in Gröden klassierte sich Lehto erstmals in den Top 20. In der Zwischenzeit wird der Skandinavier zwar nicht mehr von Inglin trainiert. Aber weil Finnlands finanzschwacher Verband nun eine Kooperation mit Swiss-Ski hat, trainiert Lehto jetzt regelmässig zusammen mit Leuten wie Yannick Chabloz, Lars Rösti, Ralph Weber, Josua Mettler oder Franjo von Almen in der zweiten Schweizer Abfahrtsgruppe von Vitus Lüönd.
Das hat sich auch positiv auf seine Schweizerdeutsch-Kenntnisse ausgewirkt: «Als ich im ersten Training durch die Coaching-Zone im Zielraum gelaufen bin, hat mir ein Rennfahrer «Sali, wie geits» zugerufen», erzählt der neue SRF-Experte Beat Feuz.
Eine Flasche Wodka für Feuz
«Im ersten Moment habe ich geglaubt, dass mich ein junger Swiss-Ski-Athlet grüsst. Aber als ich mich umgedreht habe, war ich ziemlich baff, weil es der Finne Letho war, der mich in nahezu akzentfreiem Schweizerdeutsch angesprochen hat», erzählt Feuz, der bei der Matterhorn-Abfahrt erstmals als TV-Experte im Einsatz ist. Übrigens: Von Lehto hat Feuz im Januar nach seinem letzten Weltcup-Einsatz in Kitzbühel ein hochprozentiges Geschenk erhalten. «Elian hat mir zum Abschied eine Flasche Wodka überreicht.»
Gut möglich, dass Lehto und Feuz nach dem ersten Matterhorn-Rennen mit einem Glas Champagner auf den ersten finnischen Abfahrts-Podestplatz der Weltcup-Geschichte anstossen werden.