Auf einen Blick
- Urs Lehmann lobt nach den goldenen Tagen von Saalbach den Teamzusammenhalt
- Verbesserungspotenzial sieht der Swiss-Ski-Chef bei den Frauen im Speed-Bereich
- Ziel für Heim-WM 2027: 14 Medaillen wie 1987 in Crans-Montana erreichen
Urs Lehmann, auch mit 55 Jahren haben Sie noch eine volle Haarpracht. Wie haben Sie das geschafft?
Urs Lehmann: Ich ahne, worauf Sie ansprechen (lacht).
Sie haben die berühmt-berüchtigte Rasierattacke der Schweizer Speed-Männer überstanden.
Aber nur, weil ich nach Franjo von Allmens Abfahrtssieg gleich weiter musste. Das war meine Rettung. Aber ganz ehrlich: Wäre es anders gekommen, hätte ich mich nicht gewehrt.
Gefällt Ihnen die Glatze-Fotomontage von Blick?
Ich finde sie witzig (schmunzelt). Am glücklichsten macht mich der Hintergrund des Ganzen. Fahrer, Trainer, Staff – alle haben mitgemacht. Das zeigt, welch starken Zusammenhalt es in der Schweizer Truppe gibt. Als Swiss-Ski-Co-Präsident geht mir da das Herz auf, denn genau so geht es – alle gemeinsam, niemand alleine.
Die Schweiz hat die WM mit 13 Medaillen geprägt, mehr Edelmetall gab es in der Geschichte nur in Crans-Montana 1987 mit 14 Medaillen.
Wir hatten bei den Männern so viel Erfolg wie noch nie in der Geschichte. Unglaublich, was wir erlebt haben. Für mich war die Team-Kombi sinnbildlich: Sechs Schweizer auf dem Podium zu haben, sagt alles. Wir haben die stärkste Mannschaft. Dabei rede ich nicht nur von den Athleten, sondern von Trainern und Betreuern – einfach allen.
Der 54-jährige Lehmann fuhr früher selber Skirennen. Der Aargauer krönte seine Karriere 1993 in Morioka mit dem Weltmeistertitel in der Abfahrt (Foto). Seit 2008 ist der Betriebswirt mit Doktortitel Präsident von Swiss-Ski. 2021 kandidierte er für das Präsidialamt des Internationalen Skiverbandes (FIS). Doch Nachfolger von Gian Franco Kasper wurde schliesslich Johan Eliasch. Lehmann ist mit der ehemaligen Freestyle Skiing Weltmeisterin Conny Kissling verheiratet.
Der 54-jährige Lehmann fuhr früher selber Skirennen. Der Aargauer krönte seine Karriere 1993 in Morioka mit dem Weltmeistertitel in der Abfahrt (Foto). Seit 2008 ist der Betriebswirt mit Doktortitel Präsident von Swiss-Ski. 2021 kandidierte er für das Präsidialamt des Internationalen Skiverbandes (FIS). Doch Nachfolger von Gian Franco Kasper wurde schliesslich Johan Eliasch. Lehmann ist mit der ehemaligen Freestyle Skiing Weltmeisterin Conny Kissling verheiratet.
Wer sind bei den Männern die Baumeister des Speed-Erfolgs?
Zuerst unser Cheftrainer Tom Stauffer – er ist der Mastermind. Dann haben wir Reto Nydegger, den Abfahrts-Coach. Er hat in Norwegen gearbeitet und den Esprit, der die Norweger auszeichnet, zu uns gebracht. Und dann gibt es Franz Heinzer im Europacup, der Jahr für Jahr einen oder zwei nach oben in den Weltcup bringt. Diese Achse, gemeinsam mit allen anderen Trainern rundherum, ist magisch.
Bei den Frauen ist es komplizierter, oder?
Wir sind auch in der Weltcup-Nationenwertung der Frauen die Nummer 1. Trotzdem haben wir im Speed einige Arbeit vor uns – dessen sind wir uns bewusst.
Es gab an der WM weder in der Abfahrt noch im Super-G eine Medaille.
Wenn Lara Gut-Behrami die Piste wie in Saalbach nicht zu 100 Prozent passt und Corinne Suter von einer Verletzung zurückkommt, wird es kompliziert. Wir haben jetzt noch zwei Jahre Zeit, um den Generationenwechsel voranzutreiben. Spätestens nach der WM in Crans-Montana, dem Winter 27/28, müssen wir parat sein.
Gut-Behrami wird aber schon nach dem nächsten Winter zurücktreten.
Sie ist eine der grössten Fahrerinnen, die wir je hatten. Sie zu ersetzen, ist wohl unmöglich.
Wie beurteilen Sie den Doppelsieg der Frauen im Slalom?
Camille Rast ist derzeit die beste Slalomfahrerin der Welt, auch im Weltcup. Auf Wendy Holdener ist sowieso immer Verlass. Und dahinter kommt einiges nach.
Abgesehen von den Schweizer Leistungen. Was gefiel Ihnen in Saalbach besonders?
Alles. Die Infrastruktur war hervorragend, die Gastfreundschaft sowieso. Und auch die Pisten möchte ich hervorheben. Für mich sind die Speed-Strecken ein Paradebeispiel für die Zukunft.
Inwiefern?
Sie waren weder Highspeed-Kurse noch besonders gefährlich. Und die Präparierung, schlicht perfekt: Vom ersten bis zum letzten Tor waren gleiche Schneebedingungen. Das war einmalig.
Die Messlatte für die Heim-WM 2027 liegt ziemlich hoch, oder?
Unser Team aus Crans-Montana war hier und schaute genau hin. So gut wollen wir es auch machen – mindestens.
Gibt es nichts, was Ihnen nicht gefiel?
Doch. Ich war am Samstag beim Qualifikations-Rennen für den Männer-Slalom. 130 Starter waren dort, aber kaum einer bekam etwas davon mit, weil sie weit weg auf einer anderen Piste fuhren. Das finde ich schade. In Crans-Montana wollen wir sie näher an die Fans bringen.
Die Team-Kombi kam beim Publikum dagegen sehr gut an.
Ich winde der FIS ein Kränzchen. Die Team-Kombi war sensationell, auch fast alle Stars haben mitgemacht. Das war richtig cool.
Vor der WM dachten viele, dass Marco Odermatt und Gut-Behrami im Schweizer Team herausstechen würden. Es kam anders. Wie sehen Sie das?
Für mich bleiben die beiden immer noch die Zugpferde der Teams. Beide gehen mit unglaublichem Einsatz voran und ziehen die anderen mit.
Thomas Tumler gewann mit 35 Jahren Silber im Riesenslalom und bedankte sich, dass man ihn vor drei Jahren nicht aus den Kadern gestrichen hat.
Früher haben wir einige Athleten viel zu früh nicht mehr aufgegeben. Ich habe dann mal gesagt: Ich habe lieber zehn, die wir ein Jahr zu lang mitziehen als einen, den wir zu früh nicht mehr selektionieren. Früher haben wir so wohl das eine oder andere Talent verloren. Wenn jemand das Potenzial hat, geben wir ihm oder ihr genügend Zeit. Thomi ist das beste Beispiel dafür.
Ist Swiss-Ski ein Komfortverband?
Wer mich kennt, der weiss, ich habe hohe Ansprüche. Wir sind ganz sicher kein Komfortverband, geben den Leuten aber auch eine Chance, die mit Verletzungen zu kämpfen oder in einer anderen Form Pech hatten.
1987 hat die Schweiz in Crans-Montana 14 Medaillen gewonnen. Kann man diesen Erfolg bei der Heim-WM 2027 an gleicher Stätte wieder erreichen?
Wir wollen uns stetig verbessern.
Nach Saalbach bleibt nicht mehr viel Spielraum.
Die Messlatte mit der Medaillenzahl von 1987 ist hoch, dessen sind wir uns bewusst. Trotzdem
versuchen wir, in Crans-Montana bestmöglich abzuliefern.
In Crans-Montana sind immer noch die Einsprachen gegen den Bau des Ziel-Stadions hängig. Gemeindepräsident Nicolas Féraud meinte, man riskiere den Verlust der WM, wenn man nicht rasch eine Lösung finde. Findet die WM 2027 sicher in der Schweiz statt?
Die sechs Herren, die Einsprachen gemacht haben, müssten sich des Folgenden bewusst sein: Das ist eine Aktion gegen den Skisport, Crans-Montana und das Wallis. Ich habe null Verständnis dafür.
Die Zeit drängt.
Darum möchte ich diese sechs Herren nächstes Wochenende gerne persönlich treffen, FIS-Präsident Johan Eliasch kommt dafür extra ebenfalls nach Crans-Montana. Wir wollen mit ihnen reden, damit wir dieses leidige Thema endlich vom Tisch haben.
Das Schweizer System ermöglicht solche Einsprachen, sie sind rechtmässig.
Einverstanden. Und wir respektieren auch dieses System. Aber dass sich wenige Personen vor ein Gesamtsystem stellen und nur an sich denken – damit habe ich grosse Mühe.
Zurück zur WM in Saalbach. Welche Schulnote würden Sie der Schweiz rückblickend geben?
Eine 6, definitiv!