Es ist 10.07 Uhr, als die Stimmung auf dem Rettenbachgletscher ihren Siedepunkt erreicht. Tausende von österreichischen Ski-Fans rasten vor Freude schier aus, weil Marco Odermatt mit der Startnummer 6 im ersten Durchgang 29 Hundertstel auf ihren Marco Schwarz verliert. Die rot-weiss-rote Überschwänglichkeit hält jedoch nicht lange an.
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Nach 47 von 73 Athleten wird das Rennen aufgrund von immer heftigeren Windböen zuerst für längere Zeit unter- und dann ganz abgebrochen. Einige Ösis fühlen sich in diesem Moment ungerecht behandelt. Adi Niederkorn, Star-Reporter vom ORF-Radio, richtet sein Mikrofon in Richtung Marco Schwarz und hadert mit dem Reglement: «In den Speed-Disziplinen wird ein Rennen ja auch gewertet, wenn lediglich die ersten 30 im Ziel sind. Deshalb ist das doch ein Widerspruch, wenn in den technischen Disziplinen ein Lauf nicht gewertet wird, obwohl die Top 30 im Ziel sind.»
In der Vorbereitung vieles richtig gemacht
Der untadelige Sportsmann Schwarz sieht das anders: «Ich finde es richtig, dass ein Riesen- oder Slalom-Durchgang nur dann gewertet wird, wenn alle Athleten im Ziel sind. Zudem gehören in den technischen Bewerben zwei Läufe dazu. Und aufgrund der Wetterentwicklung kann ich mir nicht vorstellen, dass die Top 30 hier einen zweiten Lauf ins Ziel gebracht hätten.»
Schwarz war beim Rennabbruch sowieso erstaunlich gut gelaunt. «Natürlich hätte ich meine Führung im zweiten Lauf gerne verteidigt. Aber ich nehme auch so sehr viel Positives mit in die nächsten Wochen. Weil ich in diesem Durchgang schneller war als der überragende Odermatt, habe ich die Gewissheit, dass ich in der Vorbereitung auf die neue Saison vieles richtig gemacht habe.»
Odermatt kündigt Analyse an
Mega-Allrounder Schwarz, der im letzten Winter in sämtlichen Disziplinen in die Top 6 gefahren ist, scheint in den letzten Monaten vor allem in den flachen Passagen noch einmal einen Fortschritt erzielt zu haben. Im Steilhang liegt Odermatt knapp drei Zehntel vor dem Kärntner. Aber im finalen, flachen Streckenabschnitt kassiert der Nidwaldner eine Packung von sechs Zehntel.
«Und das, obwohl ich beim Übergang ins Flache die riskantere Linie gewählt habe als Schwarz», betont Odermatt. Und der Titelverteidiger im Gesamtweltcup kündigt an, «dass ich wegen dieser letzten Abschnittszeit noch einmal genau über die Bücher gehen muss. Die Analyse des Videos kann mir hoffentlich genau Aufschluss geben, warum ich an dieser Stelle verhältnismässig viel Zeit verloren habe.» Grund zur Sorge besteht aber definitiv nicht, zumal es ja nicht das erste Mal ist, dass sich Odermatt bei Halbzeit hinter Schwarz liegt.
Bei der WM in Courchevel lag der Olympiasieger nach dem ersten Riesen-Lauf fast sechs Zehntel hinter seinem 28-jährigen Vornamensvetter. In der Endabrechnung musste sich Schwarz dann aber mit Bronze begnügen, während Odermatt vor Loïc Meillard triumphierte.
Meillards Wunderbindung versagt
Apropos Meillard: Der Walliser hat sich in den letzten Tagen immer wieder besonders lobend über das neue Bindungsmodell geäussert, das ihm sein Ausrüster exklusiv zur Verfügung stellt. Doch nach 27 Sekunden steht Meillard an seinem 27. Geburtstag mit nur noch einem Ski da. Ohne einen gravierenden Schlag abbekommen zu haben, ist die vermeintliche Wunderbindung aufgesprungen.
Zuversichtlich stimmen die Leistungen der restlichen Schweizer: Gino Caviezel liegt bis zum Rennabbruch trotz eines zeitraubenden Patzers auf Rang 5, Thomas Tumler und Livio Simonet liegen an 14. und 15. Stelle. Wann und wo dieses Rennen nachgeholt wird, ist noch unklar.