Der Rettenbach-Gletscher hat sich in den letzten Jahren zum Wohlfühlzimmer von Gino Caviezel (31) entwickelt. 2020 gelang dem Bündner im Sölden mit dem dritten Rang erstmals der Sprung auf das Weltcuppodest, 2021 verfehlte er das «Stockerl» als Vierter nur knapp.
Und auch diesmal spricht einiges für ein Top-Ergebnis. «Gino hat in der Vorbereitung im Riesenslalom wie im Super-G enorm starke Leistungen abgeliefert. Und obwohl er meistens sehr schnell war, ist er in den Trainingsläufen höchstens dreimal ausgeschieden», lobt Riesenslalom-Cheftrainer Helmut Krug.
Dabei hat Caviezel den Aufbau mit keinem besonders guten Gefühl in Angriff genommen: Denn Bruder Mauro (35) ist zurückgetreten. «Ich wusste, dass ich das Kraft- und Ausdauertraining erstmals ohne Mauro absolvieren muss. Und ich mag es überhaupt nicht, wenn ich bei diesen Einheiten alleine bin.»
Odermatt als Trainingskollege – sogar virtuell
Gino erstmals in der Karriere ganz allein? Nein. Er musste nur selten einsam schwitzen: «Ich habe ein paar Wochen bei Marco Odermatt in Nidwalden trainiert, danach ist Odi für ein paar Wochen in meinen Trainingsraum nach Landquart gekommen. Und wenn wir getrennt voneinander Gewichte stemmten, haben wir uns gegenseitig zwischen den Übungen über Facetime gepusht.»
Caviezel und Odermatt sind seit Jahren richtig gut befreundet und waren schon öfters zusammen im Urlaub. Der Bündner lässt aber durchblicken, dass ihm die gigantische Erfolgs-Serie seines Kumpels manchmal auch negativ tangiert: «Was Odi leistet ist sensationell, ich ziehe den Hut vor ihm. Aber es hat im letzten Winter Rennen gegeben, in denen eine gute Leistung von mir wegen Marcos Sieg kaum gewürdigt wurde.»
Caviezel nennt ein Beispiel: «Der vierte Rang beim Super-G in Beaver Creek war für mich auch deshalb ein grosser Erfolg, weil es gleich im ersten Rennen nach dem bösen Sturz von Mauro passierte. Aber weil Odi in grandioser Manier gewann, hat mich keine einzige TV-Station um ein Interview gebeten. In der Schweiz wird oft vergessen, dass es für den Gewinn vom Nationencup nicht alleine Odi, sondern konstant gute Ergebnisse des ganzen Teams braucht.»
Die besondere Caviezel-Geschichte um David Beckham
Zuletzt richtig gutgetan hat Caviezel hingegen die Netflix-Doku über David Beckham. «Ich schaue mir generell gerne Sport-Dokus an. Die Beckham-Serie hat mich besonders beeindruckt, weil er trotz vielen heftigen Tiefschlägen immer wieder aufgestanden ist. Seine Geschichte motiviert auch mich.»
Zumal Ginos Zwillingsschwester Gianina im letzten Winter eine besondere Begegnung mit Englands Fussball-Held hatte: «An der WM in Courchevel hat sie auf dem Sessel plötzlich bemerkt, dass Beckham neben ihr sitzt. Gianina hat sich nicht getraut, ihn anzusprechen. Aber plötzlich begann David mit ihr zu reden. Er war total nett und lustig.» Ganz nett sind für Caviezel auch die Auswirkungen des völlig überraschenden Rücktritts von Lucas Braathen: Durch den Abgang des Norwegers rückt der Kraftwürfel von der Lenzerheide im Riesenslalom in Top-7-Startgruppe.