Sölden spielt in der Biografie von Lucas Braathen (23) eine ganz besondere Rolle. Vor drei Jahren hat der Norweger auf dem Rettenbach-Gletscher seinen ersten Weltcupsieg gefeiert. Marco Odermatt (26) und Gino Caviezel (31) mussten sich damals mit dem zweiten und dem dritten Rang begnügen. Am Freitagmittag haben die beiden Schweizer gerade ihr Doppelzimmer im Söldner Apart-Hotel «Peter» bezogen, als sie erneut vom Wikinger mit den bunt bemalten Fingernägeln überrascht werden: Der amtierende Slalom-Weltcupsieger verkündete an einer Pressekonferenz im Dorfzentrum seinen sofortigen Rücktritt. Und das im Alter von 23 Jahren.
«Freude und Träume aufschieben»
Mit den Tränen kämpfend liefert er die Erklärung für diesen Schritt, der für seine Mitstreiter völlig unerwartet kommt: «Damit ich in diesem System weiterfahren kann, muss ich nicht nur meine Träume, sondern auch meine Freude aufschieben. Ich bin nicht mehr bereit, das zu tun.»
Der geniale Techniker aus der Region Oslo hat die Freude am Skisport auch wegen eines heftigen Streites mit dem norwegischen Ski-Verband (NSF) verloren. Braathen war – wie auch Henrik Kristoffersen (29) – schon länger frustriert, weil er die Werbefläche auf dem Helm nicht mit einem persönlichen Sponsor nutzen konnte. Stattdessen müssen die Norweger an dieser Stelle das Logo des Verbandssponsors aufkleben. Das Fass zum Überlaufen brachte dann aber Braathens Engagement für den schwedischen Luxus-Sportbekleidungshersteller J. Lindeberg.
Athleten provoziert
Die Verbandsführung reagierte empört, weil der NSF von «Helly Hansen» ausgestattet wird. «Es tut mir leid, dass ich mich auf das Niveau des Verbands herunterlassen und die Verantwortlichen so behandeln musste, wie sie seit Jahren mit uns Athleten umgehen. Man hat uns völlig respektlos behandelt, wir wurden extrem provoziert».
Wenige Minuten, nachdem Braathen seinen Rücktritt verkündet hatte, spricht Gino Caviezel als erster Skirennfahrer das aus, was die meisten denken: «Ich bin mir ziemlich sicher, dass Lucas im nächsten Winter den Rücktritt vom Rücktritt erklären wird.»
Odermatt pflichtet seinem Zimmerkollegen bei: «Ich wäre nicht überrascht, wenn Braathen im nächsten Winter für Brasilien starten würde. Der brasilianische Verband hätte sicher nichts dagegen, wenn er J. Lindeberg-Bekleidung und Red Bull als Sponsor mitbringen würde.»
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Odermatts Idee macht absolut Sinn. Denn: Braathen ist aufgrund von seiner aus Südamerika stammenden Mutter norwegisch-brasilianischer Doppelbürger.
Christian Höflehner gehört als Rennchef von Atomic zu den engsten Vertrauten von Braathen. Auch der Österreicher schliesst einen Rücktritt vom Rücktritt des «Satansbraathens» nicht aus. «Im Moment beantwortet Lucas zwar die Frage, ob er an ein Comeback für Brasilien denke, mit einem klaren Nein. Ich könnte mir aber schon vorstellen, dass er mit etwas Abstand über ein Comeback nachdenken wird. Ich würde mich über einen solchen Sinneswandel freuen, schliesslich hat unser Sport Typen wie Lucas bitternötig.»
Und dass man auch als Vertreter einer exotischen Ski-Nation erfolgreich sein kann, hat ja Slalom Vize-Weltmeister AJ Ginnis (28) mit seinem Wechsel von den USA nach Griechenland bewiesen.