In Barcelona hat Marco Odermatt in jüngeren Jahren die Erfahrung gemacht, dass in einer Weltstadt ganz andere Gesetze gelten als in seiner Heimat. «Ich war ein 16-jähriger Schnuderi, als ich mit ein paar Kumpels meinen ersten Jungs-Ausflug nach Barcelona gemacht habe. Wir wollten in T-Shirts und Shorts die angesagtesten Lokale besuchen, wurden aber am Eingang jeweils barsch abgewiesen. Erst nachdem wir uns am folgenden Tag ordentliche Hemden gekauft hatten, gingen für uns im Nachtleben die Türen auf», erinnert sich Odermatt und grinst spitzbübisch.
Jetzt, zehn Jahre später, ist der Nidwaldner zurück in der katalanischen Milionenmetropole. Obwohl er auch diesmal kein festliches Hemd trägt, wird der einstige «Schnuderi», der sich in der Zwischenzeit zum weltbesten Skirennfahrer entwickelt hat, an einer der exklusivsten Adressen Barcelonas vom Hausherrn mit grosser Begeisterung empfangen.
Odermatt ist im Hafen von Barcelona zu Besuch auf der gigantischen Basis-Station von Alinghi Red Bull Racing, wo Teambesitzer Ernesto Bertarelli auf 4600 Quadratmetern zwei Gebäude mit Werkstätten, Büros, Trainingsräumen und einem Gastrobereich aufgebaut hat. Der Genfer Milliardär begrüsst Odermatt in aller Herzlichkeit und sagt: «Marco, du bist der allererste Gast, der auf unserem neuen Rennboot, mit dem wir im August um den America's Cup segeln werden, mitfahren darf.»
Neureuther-Kommentar löst Kopfschütteln aus
Diese Ehre wurde bis dato nicht einmal Bertarelli selber zuteil. Ein Crewmitglied liefert die Erklärung: «Im Gegensatz zu den Alinghi-Yachten, die 2003 und 2007 den America's Cup gewonnen haben, gibt es auf dem neuen Rennboot keinen Platz für einen Passagier. Wir können nur Leute auf dem Boot gebrauchen, die fit genug sind, um unserer Yacht den nötigen Schub zu verleihen.» Das heisst im Klartext: Der dreifache Alpin-Gesamtweltcupsieger wird bei der folgenden Trainingsfahrt eine der vier Pedal-Positionen einnehmen.
Bevor es so weit ist, geht auf dem Hosentelefon des SonntagsBlick-Reporters ein Anruf von Deutschlands ehemaligem Slalom-König Felix Neureuther (40) ein. Als der Vize-Weltmeister von 2013 erfährt, dass Odermatt kurz vor seinem Debüt als Segler steht, reagiert er ziemlich gelangweilt: «Ich wurde vor 15 Jahren auch auf ein Rennboot eingeladen, welches um den America's Cup gekämpft hat. Und als mir die Crew auf hoher See mitteilte, dass man nun die Höchstgeschwindigkeit erreicht habe, dachte ich mir, dass die Jungs mich verarschen wollen! Ich hatte überhaupt nicht das Gefühl, schnell unterwegs zu sein. Deshalb fürchte ich, dass sich Marco bei dieser Aktion langweilen wird.»
Nils Frei, Key Account Manager bei Alinghi Red Bull, der 2003 und 2007 mit Alinghi den America’s Cup gewonnen hat, quittiert diesen Kommentar mit einem Kopfschütteln und sagt: «Was die Technologien betrifft, sind wir um Welten weiter als damals. Mittlerweile sind die Boote viermal so schnell wie damals.»
Odermatt wird ins Meer gekippt
Odermatt wird sich des Ernsts seiner Aufgabe schon vor dem erstmaligen Betreten der AC75 bewusst. Weil die Crew die Sicherheit haben will, dass ihr prominenter Gastfahrer richtig reagiert, falls das «BoatOne» kentert, wird er in einer Wanne mit den Massen des Cockpits ins Meer gekippt. Der amtierende Abfahrtsweltmeister und Riesenslalom-Olympiasieger erbringt bei dieser Übung den Beweis, dass er sich im Notfall befreien könnte. Somit kann es endgültig losgehen.
Im ersten Teil des Trainings sitzt der Superstar vom Vierwaldstättersee zwar noch auf einem Begleitboot. Odermatt wird aber schon hier klar, dass diese Geschichte alles andere als langweilig werden wird. Um dem Rennschiff einigermassen folgen zu können, muss der Pilot das Gaspedal voll durchdrücken.
Vor Barcelona findet die 37. Austragung des America's Cup statt. Dazu muss man wissen: Der America's Cup ist das Duell zwischen dem Titelhalter und dem besten Herausforderer-Team. Die Herausforderer machen zuvor im sogenannten Louis Vuitton Cup unter sich aus, wer zum America's Cup überhaupt antreten und um die älteste Sport-Trophäe der Welt segeln darf.
29. August bis 8. September: Louis Vuitton Cup, Round Robin (29.8.: Orient Express vs. Alinghi Red Bull, 14.00 Uhr live SRF2)
14. bis 19. September: Louis Vuitton Cup, Halbfinals
26. September bis 5. Oktober: Louis Vuitton Cup, Final
12. bis 21. Oktober: America's Cup (Titelverteidiger Neuseeland vs. Louis-Vuitton-Cup-Gewinner)
Vor Barcelona findet die 37. Austragung des America's Cup statt. Dazu muss man wissen: Der America's Cup ist das Duell zwischen dem Titelhalter und dem besten Herausforderer-Team. Die Herausforderer machen zuvor im sogenannten Louis Vuitton Cup unter sich aus, wer zum America's Cup überhaupt antreten und um die älteste Sport-Trophäe der Welt segeln darf.
29. August bis 8. September: Louis Vuitton Cup, Round Robin (29.8.: Orient Express vs. Alinghi Red Bull, 14.00 Uhr live SRF2)
14. bis 19. September: Louis Vuitton Cup, Halbfinals
26. September bis 5. Oktober: Louis Vuitton Cup, Final
12. bis 21. Oktober: America's Cup (Titelverteidiger Neuseeland vs. Louis-Vuitton-Cup-Gewinner)
«Das ist ja richtig krass, das Boot fliegt ja regelrecht übers Wasser», staunt der Lauberhorn-Champion. Tatsächlich kratzt die AC75-Rakete während dieser Probefahrt die 100 km/h-Marke. Es ist kurz nach 14.30 Uhr, als Odermatt das Begleitschiff verlässt und seine Position auf der Rennyacht bezieht. Damit die Bootshydraulik genügend Energie erhält, muss Odermatt nun mit seinen neuen Segelkollegen während rund 15 Minuten wie auf einem Fahrrad-Ergometer mit voller Wucht in die Pedale treten.
Der dreifache Schweizer Sportler des Jahres meistert diese Aufgabe mit Bravour, die Racing-Profis von Alinghi Red Bull reagieren tief beeindruckt. «Als wir erfahren haben, dass Marco mit uns eine Trainingseinheit absolvieren wird, reagierten wir mit einer gewissen Skepsis, weil wir uns in dieser so wichtigen Phase vor dem America's Cup keine Trainings-Flops erlauben können. Aber Marco hat uns alle in kürzester Zeit auf der ganzen Linie überzeugt.»
Schwitzen mit dem Ex-Trainer von Gut-Behrami
Nach dieser überzeugenden Segelpremiere steigt der 37-fache Weltcupsieger glücklich, aber müde vom «BoatOne». «Das war für mich wirklich ein super cooles Erlebnis. Nach dieser langen Weltcupsaison hat mir die Viertelstunde, in der ich im orangen bis roten Bereich in die Pedale getreten habe, jedoch vollkommen gereicht. Einen 30 Minuten langen Einsatz wie beim America's Cup hätte ich jetzt wirklich nicht gebraucht, obwohl ich die Schläge und das hohe Tempo auf dem Rennschiff bei weitem nicht so heftig wahrgenommen habe wie auf dem Begleitboot.»
Richtig anstrengend wird für Odermatt sicher die nächste Woche, wenn er zusammen mit Gino Caviezel und Justin Murisier nach Südspanien weiterreisen wird. In Granada wird das Trio mit seinem neuen Athletik-Trainer Alejo Hervas (Ex-Coach von Lara Gut-Behrami) mit dem Kraft- und Konditionstraining für den nächsten Weltcupwinter beginnen.