Auf einen Blick
- Lindsey Vonn plant Comeback im Ski-Zirkus trotz künstlichem Kniegelenk
- Ehemalige Ski-Asse zweifeln an Erfolg und warnen vor Gesundheitsrisiken
- Vonn hat 82 Siege und plant bis zu den Olympischen Spielen 2026
Die Königin kehrt in ihr Königreich zurück. Aber ist das wirklich eine gute Idee? Ex-Speed-Queen Lindsey Vonn wagt das Comeback im Ski-Zirkus. Dabei hatte sie 2019, kurz nach ihrem Rücktritt, weinend gemeint: «Mein Körper ist gebrochen und nicht mehr zu reparieren.» Wie sich herausstellt, war er doch zu reparieren – zweimal liess sie sich in den letzten Jahren, weil sie höllische Schmerzen hatte, am Knie operieren. Mittlerweile ist sie 40 Jahre alt und hat rechts ein künstliches Kniegelenk.
Von aussen wirkt ihr Comeback für viele wie ein Kamikaze-Akt. Aber wie sehen das zwei ehemalige Schweizer Ski-Asse, die so wie Vonn einst WM-Gold holten und sich nach der Karriere ebenfalls ein künstliches Knie-Gelenk einbauen liessen?
Sonja Nef und Bruno Kernen sind 52 Jahre alt. «Durch die Operation habe ich extrem an Lebensqualität gewonnen und unternehme beispielsweise mit der Familie problemlos schöne Wanderungen», sagt Nef. Und Kernen: «Ich kann sogar wieder Unihockey spielen – mit den Senioren der Red Ants Altendorf.» Beide sind im Alltag und bei der Ausübung ihrer Hobbys schmerzfrei.
Gewinnt Vonn wieder? Nef: «Unmöglich»
So weit, so gut. Bloss: Vonn will nicht wandern oder Unihockey spielen. Nein, sie möchte mit 120 km/h die steilsten und eisigsten Pisten der Welt auf Ski runterdonnern. Aber nicht nur das. «Sie will nicht mitfahren, sondern ganz vorne mitmischen», sagt Kernen.
Der Abfahrtsweltmeister von 1997 und Lauberhorn-Held von 2003 glaubt jedoch nicht an ein Märchen-Comeback. «Lindsey dürfte sich in dieser Saison in den Ranglisten kontinuierlich nach vorne bewegen, hie und da mal in die Top 10 fahren. Es dürfte extrem davon abhängig sein, wie das Gelände und die Schneebeschaffenheit sind – ist die Piste kompakt und ohne Spuren, hat sie gute Chancen. Aber einen Podestplatz traue ich ihr im Weltcup nicht zu.»
Gleicher Meinung ist Nef, die Appenzeller Riesen-Königin der WM 2001. Sie geht nicht davon aus, dass Vonn ihre Zahl von 82 Siegen nach oben schrauben wird. «Unmöglich. Mit 40 kannst du nicht so Vollgas geben und mit einem künstlichen Kniegelenk schon gar nicht.»
Knie bei nächstem Schaden versteifen?
Sowohl Nef als auch Kernen betonen, dass es ihren Knien gut gehe. Aber sie wissen, dass sie es nicht übertreiben sollten. Denn: Noch eine schwere Verletzung an ihrem Titan-Bein könnte verheerende Folgen haben. «Mein Arzt in Thun, Dr. Rolf Hess, hat mir klargemacht, dass wenn ich heftig abfliegen und aus dem Knie etwas ausbrechen sollte, man es wohl nicht mehr flicken könne und das Knie vielleicht versteift werden müsste.»
Kernen dürfte darum Vonns künftige Fahrten im Weltcup wohl stets mit einem mulmigen Gefühl begutachten. «Nach fünf Jahren ohne Rennen muss Lindsey, damit sie halbwegs vorne dabei sein kann, einiges riskieren. Und wenn man sich am Limit bewegt, kann man auch drübergehen.»
«Ich dachte: So bescheuert kann sie nicht sein»
Nef schüttelt den Kopf. «Ein Sturz könnte verheerend sein, denn Lindsey hat ein Knie aus Metall. Punkt. Kein Chirurg dieser Welt würde sagen, dass das, was Lindsey tut, intelligent ist.»
Und ganz offensichtlich plant Vonn nicht, nur ein wenig Weltcup-Luft zu schnuppern, um dann endgültig «Goodbye» zu sagen. Sie habe Informationen, dass sie mindestens bis zu den Olympischen Spielen 2026 weiterfahren wolle, so Nef. Kein Wunder: Auf der Tofana in Cortina (It), wo die Frauen um Medaillen kämpfen werden, hat Vonn zwölf Siege und acht weitere Podestplätze gehamstert – eine brillante Bilanz. Sollte sie übernächstes Jahr Olympia-Gold holen, wäre dies ein ganz besonderes Märchen.
Aber eben: Das ist der Konjunktiv. «Lindsey ist eine Grande Dame des Sports, ich will ihre Erfolge in keiner Weise schmälern. Im Gegenteil. Aber für mich kann sie mit ihrem Comeback nur verlieren», so Nef. Als sie das erste Mal von den Rückkehr-Gerüchten hörte, habe sie ihren Ohren nicht getraut. «Ich dachte: So bescheuert kann sie nicht sein. Aber sie ist es offensichtlich – leider. Für mich macht Lindsey damit viel von ihrem Image kaputt.»
Braucht Vonn das Ski-Rampenlicht?
Vonns Genialität auf den Ski, ihr Mut und Ehrgeiz sind unbestritten. Gleichzeitig kann man davon ausgehen, dass sie die Risiken ihrer Rückkehr kennt. Weshalb setzt sie also ihre Gesundheit aufs Spiel? Für Nef gibt es nur eine Erklärung: «Ich glaube, dass Lindsey im normalen Leben, wo sie nicht immer im Mittelpunkt steht und sich nicht alles um sie dreht, nicht klarkommt. Darum tut sie mir leid.»
Kernen schlägt in eine ähnliche Kerbe. Er war wie Nef während seiner Karriere kein Showman – ganz im Gegenteil zu Vonn, die neben der Piste stets viel Glamour versprühte. «Das Gefühl, am Start eines Rennens zu stehen, das Adrenalin zu spüren und vielleicht auch die Freude im Ziel, ist nach dem Rücktritt nicht zu ersetzen», so Kernen.
Der Berner ist seit diesem Frühling Managing Director des Skiwachsherstellers Toko und beobachtet den Skisport sehr genau. Er erzählt: «Ich habe eine Weile gebraucht, um nach dem Sportlerleben eine Erfüllung, eine ähnliche Befriedigung, zu finden. Aber das war ein Prozess und ich habe nie eine Sekunde an ein mögliches Comeback gedacht.»
Und heute? Nef und Kernen fahren nach wie vor Ski – mit künstlichen Knie, viel Freude und ohne es zu übertreiben. Das ist für Vonn offensichtlich nicht genug – sie will mehr. Was daraus wird, zeigen die nächsten Monate.