Fahren. Einfach nur fahren. Aus Spass und für den Genuss. «Ich liebe diesen Sport. Das ist das, was mich vorwärtstreibt», sagt Lara Gut-Behrami. 16 Podestplätze hat sie in diesem Winter eingefahren, darunter acht Siege – so viele wie noch nie. Aber als sie am Sonntag in der Früh aufsteht, ist ihr Erfolgsrezept wie weggeblasen.
Gut-Behrami beginnt zu grübeln. Der Grund: Ihre komfortablen Führungen im Riesenslalom- und Gesamtweltcup machen ihr zu schaffen. «Ich war nervös, weil ich erstmals realisiert habe, wie sehr ich diese Kugeln gewinnen wollte. Ich musste taktisch fahren – aber das kenne und kann ich eigentlich gar nicht.»
Letztlich geht alles auf, Gut-Behrami reicht Platz 10 für den Gewinn beider Kristallkugeln. Zwei Rennen vor Saisonende steht die Tessinerin bereits als Ski-Königin des Winters fest. «Das macht mich stolz», sagt sie.
Lange war Gut-Behrami rastlos
Es ist das erste Mal überhaupt, dass Gut-Behrami den Riesen-Weltcup gewinnt. Wie viel ihr das bedeutet, wird schnell deutlich – die Tessinerin strahlt im Zielraum von Saalbach mit der Frühlingssonne um die Wette. «Es hat mich immer gestört, wenn es hiess, ich sei eine Speed-Fahrerin. Denn der Riesenslalom ist die Basisdisziplin. Er zeigt, dass man technisch zu den Besten gehört.»
Zu den Besten gehörte Gut-Behrami schon als Teenager. Und die Erfolge stellten sich schnell ein, mit 17 Jahren heimste sie bereits zwei WM-Silbermedaillen ein. Wenn sie heute auf ihre Anfangszeit im Ski-Zirkus zurückblickt, sagt sie: «Damals fehlte mir die Ruhe, um mich als Mensch zu entwickeln. Ich wollte schnell Skifahren, das war das Wichtigste. Ich kannte nichts anderes. Und wenn ich gewann, dachte ich, dass ich tags darauf wieder liefern muss.»
«Sie hat sich mehrmals den Kopf angestossen»
Für Walter Reusser sind diese Worte mehr als nur plausibel. Der Swiss-Ski-CEO war zwar damals nicht dabei, kennt aber Gut-Behramis Werdegang genau. Zu ihm gehört, dass sie sich irgendwann nicht nur mit den Medien, sondern auch mit dem Verband stritt. «Alle machten damals Fehler, nicht nur Lara. Sie hat sich den Kopf mehrmals angestossen – doch genau darum ist sie heute da, wo sie ist.»
Lara sei nicht nur eine grossartige Skifahrerin, sondern für viele Kinder ein Vorbild. «Heute lösen so viele Mädchen und Buben eine Ski-Lizenz wie noch nie. Das hat nicht nur, aber auch mit Lara und natürlich Marco Odermatt zu tun.»
Keine Kameras? Dann ist es noch schöner
Was Reusser besonders beeindruckt, ist Gut-Behramis «gesunde Distanz» zum Ski-Tross – obwohl sie mittendrin ist. «Sie betrachtet vieles aus einer Vogelperspektive und kann sehr gut einschätzen, was passiert.»
Genau dies wird in Saalbach deutlich. Gut-Behrami wirkt zufrieden, aber nicht euphorisch. Ist es besonders schön, dass Mutter Gabriella und Vater Pauli auch da sind? «Sicher. Aber noch wichtiger sind die Momente, wenn keine Kamera da ist. Diese Woche habe ich mit ihnen darüber gesprochen, was sie alles mit uns Kindern gemacht haben – das sind die wichtigsten Erinnerungen, die ich in mir trage.»
«Ich bin mit mir im Reinen»
Der grösste Einschnitt in Gut-Behramis Karriere war nicht ihr erster Gesamtweltcupsieg 2016, sondern der Kreuzbandriss 2017. «Vorher dachte ich, dass ich nur jemand bin, weil ich schnell Skifahren kann. Durch die Verletzung habe ich gemerkt, dass der Mensch entscheidend ist.» Sie heiratete, löschte ihre Social-Media-Accounts und pfiff auf das, was man über sie dachte. Vor allem aber: Gut-Behrami begann, ihr Leben zu geniessen. Heute sagt sie: «Früher wollte ich Erfolg, jetzt will ich leben. Ich bin mit mir im Reinen.»
Von einem Rücktritt auf dem Höhepunkt will Gut-Behrami derweil nichts wissen. Ihr Plan bleibt, noch eine Saison zu fahren. «Eventuell wache ich im Sommer aber eines Tages auf und denke, dass das alles keinen Sinn mehr macht. Dass ich lieber zu Hause bleiben will.»