Auf einen Blick
- Odermatt nutzt Schienbeinschoner gegen Schmerzen. Experten warnen vor Risiken
- Sarrazins Karbon-Konstruktion sorgt für Aufregung im Ski-Zirkus
- FIS-Speed-Direktor Trinkl: Einschränkung im Frühling nicht durchgekommen
Am oberflächlich betrachtet makellosen Körper von Marco Odermatt (27) erkennt man bei genauerer Betrachtung einen wunden Punkt – das Schienbein. «Angefangen haben die Probleme zu Beginn meiner Weltcup-Karriere», erinnert sich der dreifache Gesamtweltcupsieger: «Ich hatte wegen einer Entzündung am Schienbein so starke Schmerzen, dass ich laut geschrien habe.»
Odermatt reiste in dieser Zeit durch halb Europa, um sich von Spezialisten behandeln zu lassen. Die Mediziner bekamen das Problem allerdings nicht in den Griff. Den Hinweis für das probate Gegenmittel erhielt der Buochser letztendlich von seinem Nidwaldner Kumpel Reto Schmidiger (32). Der inzwischen zurückgetretene Slalom-Spezialist machte Odermatt spezielle Schienbeinschoner schmackhaft. «Wir hatten in der Schweizer Slalom-Truppe einen schwedischen Konditionstrainer. Er hat uns diese Schoner aus seiner Heimat mitgebracht. Als mir Marco von seinen Beschwerden erzählt hat, habe ich ihm diese Schienbeinschützer vorgeführt», so Schmidiger. Ein vergleichbares Modell sorgt bei Odermatt seither dafür, dass er ohne Schmerzen fahren kann.
Österreichs Abfahrtschef löst Alarm aus
In der Zwischenzeit benutzen neben dem Riesen-Olympiasieger und zweifachen Weltmeister auch andere Fahrer Schienbeinschützer, obwohl sie an dieser Stelle noch gar nie eine Entzündung hatten. Der Grund: Immer mehr Athleten glauben daran, dass sie dank dieser Protektoren eine direktere Linie fahren können. Denn der Schoner stellt eine Verlängerung der Zunge des Skischuhs dar. Anders ausgedrückt: Bei einer höheren Positionierung soll eine direktere Übertragung auf die Ski möglich sein.
Für grosse Aufregung sorgt derzeit im Ski-Zirkus das Modell des Franzosen Cyprien Sarrazin (30). Seine Karbon-Konstruktion umhüllt den kompletten Unterschenkel. Es handelt sich quasi um einen Schuh im Schuh. «Es ist für mich sehr verwunderlich, wie man mit einem solchen Teil überhaupt Ski fahren kann», schüttelt Österreichs Speed-Trainer Sepp Brunner den Kopf. Brunner macht sich deshalb grosse Sorgen um die Zukunft des Abfahrtssports: «Diese Konstruktion führt dazu, dass alles noch aggressiver und direkter wird. Und wenn einer wie Sarrazin damit Erfolge feiert, werden sich die jungen Athleten selbstverständlich auch einen solchen Spezialschoner anfertigen lassen. Das wird dazu führen, dass wir künftig noch mehr Verletzte haben werden.»
Rennchef fordert Verbot im Nachwuchsbereich
Brunner, der bis 2017 erfolgreich für Swiss Ski gearbeitet hat, fordert deshalb die Verantwortlichen vom Internationalen Ski-Verband auf, über entsprechende Massnahmen nachzudenken. FIS-Speed-Direktor Hannes Trinkl teilt in dieser Angelegenheit Brunners Bedenken: «Wir wollten im letzten Frühling im Reglement eine Einschränkung dieser Schützer vornehmen, wir sind damit aber an der Sitzung mit nationalen Verbänden nicht durchgekommen. Die Weiterentwicklung dieser Schienbeinschützer ist für mich schon sehr gefährlich.» Siegi Voglreiter, Rennchef bei Fischer-Ski, plädiert sogar dafür, «dass man diese Schoner im U18-Bereich verbietet.»
Marco Odermatt hält nichts von einem Verbot. «Das Ganze muss wirklich individuell betrachtet werden. Es gibt Athleten, die wegen Rückenbeschwerden mit einem Nierengurt Rennen bestreiten. Lindsey Vonn gibt ihr Comeback mit einer Knieprothese. Deshalb spricht nichts dagegen, dass Rennfahrer wie Cyprien und ich mit Schienbeinschonern starten.» Sarrazin hatte in Alta Badia 2018 eine Fraktur des Schienbeins erlitten, deshalb gibt es auch bei ihm einen medizinischen Grund für das Tragen dieses Schoners.