Wunderkind, Jahrhundert-Talent, die Beste der Geschichte! Mikaela Shiffrin (25) sind diese Attribute wohlbekannt. Kein Wunder. Denn: Schon kurz nach ihrem Weltcupdebüt mit 15 Jahren reihte die Amerikanerin Siege an Siege. Es wurden so viele, dass manch einem Ski-Fan die Lust am Zuschauen verging. Shiffrin war schlicht zu gut, zu dominant – der Weltcup wurde langweilig. «Manche sagen, ich würde wie ein Roboter fahren», sagte sie einmal enttäuscht.
«Fühlt sich wie der erste Sieg an»
Heute ist davon nichts mehr zu spüren – weder auf der Piste in Courchevel (Fr) und schon gar nicht im Ziel. Klar, Shiffrin gewinnt erneut und zum 67. Mal insgesamt im Weltcup – sie holt damit den grossen Marcel Hirscher (Ö) ein. «Aber es fühlt sich wie mein erster Sieg an», sagt sie weinend. Der Grund für ihre Emotionen: Shiffrin verlor im letzten Februar überraschend ihren Vater Jeff (†65). Für Familienmensch Shiffrin brach damit von einer Sekunde auf die andere eine Welt zusammen – ihr Anker, ihr Förderer, ihre grösste Bezugsperson neben Mutter Eileen war auf einmal nicht mehr da.
Shiffrin ist für Gisin «Superwoman»
Der Ski-Überflieger zog sich zurück, brauchte Ruhe und dachte an Rücktritt. Erst in diesem Winter folgte das Comeback. Und nun steht Shiffrin, menschlich wie vielleicht nie zuvor wirkt, wieder auf dem obersten Podest. «Ich fuhr heute nicht alleine», sagt sie. Jedem ist bewusst, was sie meint.
Shiffrin ist in diesem Moment nicht allein. Federica Brignone (It) und Tessa Worley (Fr), die neben ihr auf dem Podest stehen, herzen sie. Und auch Michelle Gisin, die Vierte wird, meint: «Ich finde, Mikaela darf unglaublich stolz auf sich sein. Ich habe ihr gleich gesagt: ‹Für mich bist du Superwoman!›»
Klarer Seitenhieb in Richtung Kritiker
Auf die Speed-Rennen in Val d'Isère (Fr) dürfte Shiffrin verzichten – Trainingsrückstand. Das ist im Moment aber sowieso egal. «95 Prozent von mir dachten, ich würde es nie wieder bis hierher schaffen», bilanziert sie. Nur dank ihrem Team sei dies gelungen. Und dann richtet sich Shiffrin noch an ihre Kritiker. «Das ist auch für jene, die meinten, ich hätte mein Feuer für immer verloren.» Eine Breitseite. Sicher ist: Ihr Feuer brennt nach wie vor – und ein Roboter ist Shiffrin sicher nicht.