Foto: Sven Thomann

Massenhaft Talente folgen hinter Odermatt
Das Geheimnis des Nidwaldner Ski-Wunders

Es ist kein Zufall, dass unser neuer Alpin-Überflieger Marco Odermatt (23) aus Nidwalden stammt. Warum der Mini-Kanton serienweise Riesen-Talente entwickelt.
Publiziert: 20.12.2020 um 08:20 Uhr
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Aktualisiert: 20.12.2020 um 10:48 Uhr
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Marco Odermatt fährt vorneweg. Hinter dem Ski-Star rollt eine regelrechte Nidwaldner Welle auf den Ski-Weltcup zu.
Foto: Sven Thomann
Marcel W. Perren (Text) und Sven Thomann (Fotos)

Die Geschichte der Beckenrieder Nachwuchs-Hoffnung Ben Rohrer zeigt, dass die kindliche Ski-Euphorie der Nidwaldner auch schmerzliche Momente verursachen kann. Der Zwölfjährige steht eines Tages auf dem Pausenplatz des Schulhauses Beckenried, als er den joggenden Marco Odermatt erblickt. Nichts und niemand mehr kann jetzt Ben zurückhalten. Der Bub sprintet in Richtung Klassenzimmer, wo er sich einen Stift greifen will, damit ihm sein Idol ein Autogramm aufs T-Shirt schreiben kann.

Doch soweit kommt es leider nicht, weil Ben bei seinem Spurt über die Schulhaus-Treppe einen Misstritt begeht, stürzt und mit ­einer gröberen Fuss-Verletzung ­liegen bleibt. Somit musste er eine längere Trainingspause einlegen.

Die Talente gehen dieser Region aber trotz des Ausfalls von Ben nicht aus – ganz im Gegenteil. Obwohl Nidwalden mit rund 43 000 Einwohnern den fünftkleinste Kanton der Schweiz darstellt, fungieren mit Marco Odermatt, Semyel (22) und Carole Bissig (24), Delia Durrer (17) und den derzeit verletzten ­Andrea Ellenberger (27); Nathalie Gröbli (24) und Reto Schmidiger (28) sechs Nidwaldner im Weltcup-Kader von Swiss Ski. Hinzu kommt Priska Nufer (28), die zwar im Kanton Obwalden aufgewachsen ist, den Sprung in den Weltcup aber über die Nidwaldner Talentschmiede geschafft hat.

Odermatt fährt in Santa Caterina allen davon
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Überlegener Riesenslalom-Sieg:Odermatt fährt in Santa Caterina allen davon

Nidwalden – Bern: 7:5!

Wie beeindruckend die Weltcup-Quote der kleinen Nidwaldner ist, zeigt nicht zuletzt ein Vergleich mit dem grossen Kanton Bern (1 Million Einwohner). Die Mutzen haben derzeit mit Beat Feuz, Lars Rösti, Nils Mani, Noel von Grünigen und Joana Hählen gerade mal fünf Weltcup-Starter.

Und es dürfte nicht allzu lange dauern, bis die Delegation des NSV in der alpinen «Belle Etage» noch grösser wird. Joel Lütolf (20) vom SC Bannalp Wolfenschiessen hat kürzlich in der Europacup-Kombination in Zinal triumphiert, Yannick Chabloz (21) glänzte letzte Woche mit dem dritten Rang bei der Europacup-Abfahrt in Santa Caterina. Und der Hergiswiler Mika Marty führt die Bestenliste der Schweizer U16-Athleten an.

Worauf basiert dieses Ski-Wunder? Zu den Auslösern dieser Nidwaldner Welle gehören neben Petra Bissig, die ihre Kinder Carole und Semyel bis zum Sprung in die Swiss-Ski-Kader selber trainiert hat, ­Marco Odermatts Vater Walter und Paul Schmidiger, Papa des dreifachen Junioren-Weltmeisters Reto.

Odermatt (Technischer Leiter) und Schmidiger (JO-Chef) hatten beim Skiclub Hergiswil über eine längere Zeit Führungsrollen inne. Zu Beginn der 2000er-Jahre stellten sie für ihren Nachwuchs einen Trainer mit einem 50-Prozent-Mandat an. In dieser Phase begleiteten Schmidiger und Odermatt mit ihrer JO die Schule Hergiswil in ein Fasnachts-Skilager, in der der Grundstein für ein gewinnbringendes Schulsystem für Nidwaldner Ski-Talente gelegt wurde.

Es geht auch ohne Geld

Walter Odermatt blickt zurück: «Weil wir mit Reto Schmidiger und Andrea Ellenberger in unserem Klub zwei Top-Talente hatten, habe ich mich mit Paul dafür stark gemacht, dass diese beiden ab der Oberstufe in der Schule eine besondere Förderung erhalten müssen. In ­diesem Skilager hatten wir die Möglichkeit, sehr tiefgründige Gespräche mit den Vertretern des Schulrats zu führen. So ist die Idee für die ­Begabtenförderung an der Schule in Hergiswil entstanden.»

Odermatt Senior erinnert aber daran, dass an den Gestaden des Vierwaldstättersees nicht alle von Anfang an begeistert waren von dieser Idee. «Wir mussten gegen einige Widerstände ankämpfen, aber der damalige Schulrat Alfonso Ventrone hat uns gemeinsam mit der kantonalen Bildungsdirektion enorm geholfen, so dass wir unser Vorhaben 2005 realisieren konnten.»

Mit Monika Wicki-Hess (56) wird die Begabtenförderung Hergiswil jetzt von einer Frau präsidiert, welche in den 80er-Jahren 26 Weltcuprennen (1 Sieg) bestritten hat. Weil die Cousine von Erika Hess gemeinsam mit Vize-Präsident Ruedi Amstutz ordentlich Sponsorengelder akquiriert, können in Hergiswil auch Ski-Talente gefördert werden, deren Eltern nicht zu den Grossverdienern gehören.

Christen wie Odermatt?

Seit 2005 leistet sich der Nidwaldner Verband auch einen vollamtlichen Jugendtrainer. Seit neun Jahren bekleidet Heiko Hepperle diesen Posten. Er wird unterstützt von Dominic Zimmermann (65-Prozent-Mandat). Derzeit kommen zwölf von Hepperles Nachwuchshoffnungen an der Hergiswiler Schule in den Genuss der Begabtenförderung. Der gebürtige Allgäuer ist begeistert vom Zusammenspiel zwischen Sport und Schule. «Die Schulleiterin Ursula Haas legt unseren Talenten wirklich nie Steine in den Weg wenn ich sie fürs Training benötige.»

Hepperle lobt vor allem die Flexibilität der Schulleitung: «Normalerweise trainieren wir am Dienstag-, Mittwoch- und Freitagvormittag auf der Ski-Piste. Die Schulleitung bereitet uns aber auch keine Probleme, wenn ich meine Athleten aufgrund einer Wetterveränderung kurzfristig an einem anderen Tag aufbiete.»

Und dank diesem flexiblen Schulsystem scheint mit Andre Christen bereits der nächste Marco Odermatt heranzuwachsen. Der 14-Jährige stammt wie Slalom-Legende Dölf «Dachs» Mathis (82) aus Oberrickenbach. «Ich habe Marco trainiert, als er 14 war. Und jetzt ­erinnert mich Andre wirklich ganz stark an den Odi von damals», sagt Hepperle. «Andre fährt wirklich überdurchschnittlich schnell Ski. Wenn er gesund bleibt, hat er alle Voraussetzungen, um wie Marco Odermatt eine ganz grosse Karriere zu machen.»

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