Marco Odermatt ist knapp drei Monate alt, als rund zehn Kilometer von seinem Elternhaus entfernt ein Bub Namens Semyel Bissig geboren wird. Es dauert nur ein paar Jahre, bis sich die beiden erstmals auf der Skipiste begegnen. Und es ist früh ersichtlich, dass der blonde Marco und der dunkelhaarige Semyel aussergewöhnlich viel Potenzial für den Skirennsport mitbringen.
Bissig war schon früh ein echtes Muskelpaket
Bei den Jugend-Skirennen im Kanton Nidwalden stellte sich in dieser Zeit nur eine Frage: Gewinnt Odermatt oder Bissig?
Zwischen dem 14. und 16. Lebensjahr ist diese Frage aber ziemlich einfach zu beantworten, weil sich der Jüngere körperlich schneller entwickelt. «Während Marco damals noch extrem dünne Beine hatte, war Semyel bereits ein echtes Muskelpaket mit beeindruckenden Oberschenkeln.
«In dieser Phase war Semyel oft deutlich schneller», erinnert sich Odermatts Vater Walti. In besonderer Erinnerung bleibt Odermatt Senior die JO-Schweizer Meisterschaft 2013 in Davos: «Semyel hat die Goldmedaille gewonnen, Marco Silber – Semyels Vorsprung betrug in der Endabrechnung aber zwei Sekunden.»
Plötzlich zieht Odermatt vorbei
Doch dann ist es plötzlich Odermatt, der an Bissig vorbei zieht. Marco debütiert 2016 mit einem Top-20-Rang in Sölden im Weltcup, gewinnt sechs Goldmedaillen bei der Junioren und WM und schafft mit 2019 erstmals den Sprung aufs Weltcup-Podest (3. in Kranjska Gora). Bissig bleibt bei seinen ersten drei Weltcup-Slaloms in der Saison 2017/18 ohne Punkte und wird deshalb in den letzten beiden Wintern nicht auf höchster Stufe eingesetzt.
Mehr Ski
Aber weil vor rund zwei Wochen neben Loïc Meillard und Justin Murisier auch Marco Odermatt positiv auf Corona getestet wird, erbt Bissig einen Platz beim Parallel-Riesen in Lech. Der Rest dieser Geschichte dürfte den meisten bekannt sein. Nach dem sensationellen fünften Rang im Parallel-Wettkampf wird der Bruder von Slalom-Spezialistin Carole erstmals für einen Spezial-Riesenslalom im Weltcup aufgeboten. Und Bissig liefert in Santa Caterina eine fantastische Premiere ab.
Bissig stellt Marcel Hirscher in den Schatten
Im ersten Lauf fährt er mit der Nummer 51 auf Rang 28 und verbessert sich im Final auf den 16. Rang, was den Gewinn von 15 Weltcup-Punkten bedeutet. Mit diesem Debüt stellt Bissig sogar sein grosses Idol Marcel Hirscher in den Schatten, denn der Österreicher konnte bei seinem Weltcup-Debüt 2007 keine Punkte ergattern.
Trotzdem wird sich Bissig noch eine Zeit lang mit dem Titel des «zweitschnellsten Nidwaldners» begnügen müssen, weil sein ewiger Weggefährte Marco Odermatt auch in Santa Caterina wieder vom Podium grüsst. Als Dritter verpasst der Buochser den Sieg nur um drei Zehntel.
Beeindruckend ist vor allem Odermatts Konstanz. In den vier letzten Weltcup-Riesen (Yuzawa Naeba, Hinterstoder, Sölden, Santa Caterina) war «Odi» nie schlechter als Vierter. Leider können die Nidwaldner Festspiele in Italien am Sonntag nicht fortgesetzt werden, der zweite Riesenslalom wird wegen des vielen Neuschnees auf den Montag verschoben. Dann aber …
Zumal Odermatt weiss, dass er um diese Jahreszeit besonders gut drauf ist: «Vor einem Jahr habe ich in Beaver Creek meinen ersten Super-G im Weltcup gewonnen. Vielleicht klappt es jetzt auch mit dem ersten Weltcupsieg im Riesen …»