Die Zeit tickt – auch für Lara Gut-Behrami. Mit 32 Jahren steht die Tessinerin im Herbst ihrer Karriere. «Bald kann ich was anderes machen. Mein Alltag wird sich nicht mehr nur um eine Tätigkeit drehen», schaut sie voraus. In ein, zwei oder drei Jahren? Im letzten Februar, nach einer medaillenlosen WM in Méribel (Fr), hatte Gut-Behrami noch davon gesprochen, dass dies nicht ihre letzten Titelspiele sein würden. Dass sie so nicht aufhören wolle. «Vielleicht habe ich das nur gesagt, weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass es bald vorbei ist. So konnte ich mich motivieren.»
Tritt Gut-Behrami also doch bald zurück? Im nächsten Winter gibt es weder Weltmeisterschaften noch Olympischen Spiele, ehe 2025 die WM in Saalbach (Ö) der nächste Grossanlass vor der Türe steht. Daran denkt Gut-Behrami noch nicht, sie nimmt Winter für Winter. Gleichzeitig gibt sie zu, dass sie sich im Sommer grundlegende Gedanken gemacht habe. «Beim Trainingslager in Argentinien kam die Sonne nie raus. Es war feucht, wodurch ich Schmerzen in den Knien hatte. Da habe ich mich schon gefragt: Was mache ich hier? Macht das Sinn? Will ich das überhaupt noch?»
«Ich will gewinnen»
Zwei Wochen später war das Bild komplett anders. Gut-Behrami trainierte in Zermatt – bei Sonnenschein und perfekter Piste. «Da habe ich wieder gespürt, welche Lust ich auf das Skifahren habe.» Nun sei sie bereit, die Arbeit in gute Resultate umzusetzen – auch ohne WM und Olympia. «Ich will von den Jahren, die noch vor mir stehen, profitieren. Und gewinnen.»
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Dass sie genau dies noch kann, bewies Gut-Behrami in den letzten Jahren regelmässig – keine andere Schweizerin gewann häufiger. Mittlerweile steht sie bei 37 Weltcupsiegen, nur sechs Fahrerinnen in der Geschichte des Sports liegen vor ihr. Dazu kommen ein Gesamtweltcupsieg (2016), WM-Gold (2021) und Olympiagold (2022). Im letzten Winter holte sie die kleine Kristallkugel im Super-G-Weltcup.
Essen, Schlafen, Skifahren – sonst nichts
Auch jetzt ist Gut-Behrami bereit, alles zu investieren. «Auch wenn dies heisst: Essen, Schlafen, Skifahren.» Ihre Familie würde dies verstehen, ihr immer helfen. Gleichzeitig ist Gut-Behrami ihrer Kompromisslosigkeit bewusst. «Da bin ich ziemlich radikal. Aber wenn man schaut, welche Fahrerinnen mit 32 oder 33 im Skirennsport noch vorne mitmischten, dann waren es solche, die sehr entschlossen waren.» Die Wahrheit sei, dass sie sich jeden Tag überlege, was sie tun könne, um besser zu werden.
Verbissen wirkt Gut-Behrami nicht, als sie dies sagt. Im Gegenteil. Der neue Schweizer Alpin-Direktor Hans Flatscher meint: «Wichtig ist, dass Lara gesund bleibt und ihre Freude und Leidenschaft hochhalten kann. Und wir versuchen, das Umfeld zu schaffen, das sie braucht.» Seine Athletin sieht sich jedenfalls parat, die Knieschmerzen in Argentinien seien nichts, worüber man sich Sorgen machen müsse.
«Den Druck werde ich nicht vermissen»
Und was ist, wenn sie die Ski doch eines Tages an den Nagel hängen wird? Gut-Behrami weiss noch nicht, was sie machen wird – dafür aber, was sie nicht vermissen wird. «Ich stehe jeden Tag auf und weiss, dass ich gesund sein muss. Das braucht viel Energie. Ich werde immer an meinen Leistungen gemessen und wenn ich mal Probleme habe, muss ich sie lösen – das ist ein unglaublicher Druck.»