Lange schwieg Michelle Gisin (29). Oder besser: Sie verriet nicht, was der tatsächliche Grund für ihren schwachen Saisonstart war. «Die Abstimmung passt noch nicht», sagte sie jeweils. Und: «Wir arbeiten daran.» Es waren Phrasen – Gisin log nicht, behielt aber den wahren Grund der Misere für sich. Bis jetzt!
Nach ihrem zwölften Platz beim Riesenslalom in Semmering (Ö) verrät die Olympiasiegerin, die nach 15 Jahren mit Rossignol-Ski auf Salomon-Bretter gewechselt hat, ein Geheimnis: «Vor gut einem Monat, noch vor dem Saisonstart, hatte ich beim Training in Levi Entzündungen am Fuss. Das war kompliziert. Wir mussten uns überlegen: «Was machen wir jetzt?» Die Lösung war ein neuer, grösserer Schuh.» Gesagt, gewechselt.
Nun könnte man einwenden, dass Gisin das Problem rechtzeitig erkannt hat. Und sich fragen, warum sie trotz der zuletzt ersichtlichen Steigerung erst einen Top-5-Platz erreichte, aber noch keine Podiumsplatzierung. «Der Schuhwechsel zog so viele Dinge mit sich, dass es fast schon absurd ist», sagt sie. Dazu muss man wissen: Skirennfahrer hüten ihre Skischuhe wie einen heiligen Gral – haben sie einen passenden gefunden, wechseln sie ihn nie. Ausser, er ist kaputt. So ist es kein Zufall, dass die Athletinnen und Athleten ihre Skischuhe auch im Flugzeug stets als Handgepäck mitnehmen – es wäre eine Tragödie, gingen sie verloren.
Darum schwieg Gisin
«Ich habe den ganzen Sommer und Herbst im kleineren Schuh trainiert, die ganze Abstimmung mit Bindung, Bindungsplatte und Ski war auf ihn eingestellt. Das fiel auf einmal weg», erzählt Gisin. Nun stehe sie weiter vorne, habe etwas mehr Platz. «Und ich kann zum ersten Mal in meinem Leben die Zehen strecken. Früher musste ich sie immer anziehen, sonst hätte ich nicht fahren können.»
Man merkt: Gisin ist erleichtert. Doch warum lässt sie erst jetzt die Katze aus dem Sack? Erstens will sie nicht schönreden, dass sie ab und an schlecht gefahren sei. In Levi stand sie zudem kraftlos am Start – eine Erkältung setzte ihr zu. Vor allem aber meint Gisin: «Ich wollte nicht darüber reden, bevor wir das Problem nicht gelöst haben. Nun habe ich endlich eine Basis, auf der ich aufbauen kann.»
Wenig Zeit zum Testen
Komplett ausgestanden ist die Thematik aber noch nicht. So fährt Gisin derzeit in allen Disziplinen mit den gleichen Schuhen. Das ist äusserst ungewöhnlich. «Das habe ich noch gar nie gemacht. Vielleicht ist der aktuelle Schuh in der Abfahrt zu hart oder im Slalom zu weich – aber ich kann nicht alles testen, da wir mitten in der Saison stehen. Vorerst bin ich einfach glücklich, dass es Schritt für Schritt vorwärtsgeht.»