Alles, was schiefgehen kann, geht auch schief. Murphys Gesetz scheint Wendy Holdener in dieser Saison zu verfolgen. Nicht immer, aber doch in grosser Regelmässigkeit. Der vierte Platz im WM-Slalom steht sinnbildlich dafür. Zur Halbzeit ist sie noch Dritte – ein starkes Lebenszeichen nach schwierigen Cortina-Tagen. Und auch im zweiten Durchgang fährt Holdener alles andere als schlecht. Belohnt wird sie trotzdem nicht. Am Ende gibts nur Leder statt Edelmetall. «Jemand muss ja Vierte werde», sagt sie mit Tränen in den Augen, «und an der WM zählen halt nur die Medaillen.» Diese holen Katharina Liensberger (Gold), Petra Vlhova (Silber) und Mikaela Shiffrin (Bronze).
Holdener stellt sich Journalisten, läuft nicht davon – auch wenn sie sich in diesem Moment am liebsten im Frühlingsschnee vergraben würde. Das ehrt sie. Gleichzeitig weiss die Schwyzerin, dass ihre medaillenlose WM keine Sensation ist. Einen einzigen Podestplatz (Rang 3 in Flachau) fuhr sie in dieser Saison im Weltcup heraus. Zum Vergleich: In den letzten drei Jahren waren es insgesamt 25. Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann meint: «Wendy hat eine schwierige Zeit hinter sich, die ganze Vorbereitung auf die WM war nicht ideal. Mal hatte sie Pech, mal schied sie aus – sie musste sich immer wieder aufrappeln.»
Verletzung, Trennung, Corona
Tatsächlich haperte es bei Holdener schon früh. Genauer: Im letzten Herbst. Da zog sich sie sich im Training eine Fraktur am Schienbeinkopf zu. Sie musste nicht operieren, verlor aber sechs wichtige Vorbereitungswochen. Es war der Beginn einer Achterbahnfahrt. Die «geilen Ski-Tage», wie Holdener sie nennt, wechselten sich mit Frust-Resultaten ab.
Es gab auch Spannungen mit ihrem neuen Trainer Klaus Mayrhofer, die wenige Tage vor der WM in einer Trennung kulminierten. Kurz darauf wurde sein «Ersatzmann», Technik-Chef Alois Prenn, positiv auf Corona getestet – er musste für zehn Tage in Quarantäne. Holdener machte sich trotzdem Mut, freute sich auf die WM. Gleichzeitig sagte sie: «Ich bin keine, die locker ist. Ich habe viele Gedanken.»
Ein Auf und Ab ohne Ende
Heute, nach ihrem ersten Grossanlass ohne Medaille seit 2015, relativiert Holdener ihre medaillenlose WM: «Ich wurde in den letzten Jahren sehr verwöhnt.» Ihre frühere Ausbeute war in der Tat beeindruckend. Sie hamsterte Edelmetall wie Eichhörnchen Nüsse. 2017 in St. Moritz gab es Gold und Silber, 2018 in Pyeongchang einen ganzen Medaillensatz und 2019 in Are zweimal Gold. Mit diesen Zahlen im Hinterkopf dachten vor zwei Wochen wohl viele: Holdener wird erneut liefern. Es kam anders.
Wobei auch hier gilt: Holdener fuhr in Cortina weiter auf ihrer Achterbahn. Bei der Kombi zeigte sie einen starken Super-G, ehe sie im Slalom ausschied. Im Parallelrennen war sie eine der Besten, wurde aber Opfer einer miserablen Piste und eines irrsinnigen Reglements. Im Teamevent gewann sie alle ihre Läufe, war aber etwas zu wenig schnell. Beim Riesenslalom fuhr sie auf Rang 8 – solide. Und im Slalom fehlten 36 Hundertstel zu Bronze.
Mal war Holdener in Cortina glücklich, mal weinte sie, ab und zu hatte sie Pech und manchmal war sie schlicht nicht gut genug. «Ich will immer erfolgreich sein, aber ihr daheim wisst es auch: Es gibt nicht immer gute Tage, sondern Momente, wo es nicht läuft. Ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch, auch wenn ich nun enttäuscht bin. Ich beisse mich durch.»
Gisin fädelt ein, Rast lässt hoffen
Bereits viel früher fertig ist der Arbeitstag von Holdeners Teamkollegin Michelle Gisin (27), sie fädelt im ersten Lauf ein – ihr erster Ausfall seit 26 Slaloms. Gisin nimmt Kombi-Bronze mit nach Hause, ihr Freund Luca de Aliprandini (30) Riesen-Silber. «Das bedeutet mir mindestens so viel», so Gisin. Während Camille Rast (21) im Slalom mit Rang 8 eine Kostprobe ihres Talents abgibt, scheidet Mélanie Meillard (22) im zweiten Lauf aus.