Wie bitter ist das denn? Da fällt Michelle Gisin seit 2017 und 26 Slaloms nie mehr aus, entwickelt sich zur Siegesfahrerin, zählt zu heissesten Medaillenanwärterinnen in Cortina – und steht nach wenigen Toren neben der Piste. Eingefädelt, aus der Traum. «Es ist in der Tat lange her seit meinem letzten Ausfall. Nun hat es mich erwischt, das kann halt passieren», sagt die 27-Jährige kurz darauf.
Zerknirscht wirkt Gisin dabei nicht, im Gegenteil. Den Frust hat sie schnell verdaut. «Es war eine unglaubliche WM für mich. Zuerst ist mir mit Platz 5 endlich der Knopf in der Abfahrt aufgegangen, dann wurde ich Vierte im Super-G und holte Bronze in der Kombi», bilanziert sie. Und fährt fort: «Logisch, mit meinem groben Fehler im Riesenslalom und dem Einfädler im Slalom habe ich es etwas vergeben. Aber das, was am Freitag passierte, bleibt wunderschön – darum ist auch die zweite WM-Woche für mich perfekt.»
Was Gisin meint, ist jedem klar: Ihr Freund Luca de Aliprandini (30) holte auf sensationelle Art Silber im Männer-Riesen. «Er brauchte so lange für diesen Erfolg, machte viel Seich, hatte aber auch Pech. Ich bin unendlich glücklich für ihn», so Gisin. Die beiden sind seit über sechs Jahren ein Paar, wohnen im Sommer in einem eigenen Häuschen in Riva del Garda (It). «Und nun fahren wir mit zwei Medaillen im Gepäck und gesund nach Hause. Ich kann mich wirklich nicht beklagen.»
Gisin: «Bronze nicht hoch eingeschätzt»
Vielleicht waren die Erwartungen in Gisin vor der WM grösser als letztlich der Output mit einer Bronzemedaille. Gisin wehrt sich gegen diese Behauptung: «Einige Journalisten haben diesen dritten Platz nicht hoch eingeschätzt. Ich fand es schade, dass man ihn kleingeschrieben hat. Aber es war eine extrem schwierige Kombi mit einer richtigen Speed-Strecke im Super-G und einem völlig vereisten Slalomhang. Ich bin stolz, dass ich alles gemeistert habe.»
Die Allrounderin blickt bei ihrem WM-Fazit auch auf die ganze Schweizer Mannschaft. «Wir haben so viele Medaillen geholt, das gab es schon lange nicht mehr. Ich erinnere mich an 2005, wo es keine einzige gab. Wir haben gezeigt, dass wir im Moment die Besten der Welt sind – auch wenn einige Rennen in die Hosen gehen. Ich bin stolz, ein Teil dieses Teams zu sein.»