Die Vollendete
Gut-Behramis Aufstieg vom Wunderkind in die Weltklasse

Wunderkind, Zicke, Genie, Trampel: Lara Gut-Behrami (31) musste sich viel anhören. Auf der Piste lieferte sie nicht immer, aber sehr oft ab. Blick schaut zurück.
Publiziert: 05.02.2023 um 00:45 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2023 um 13:33 Uhr
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Mit Schwung an die WM: Lara Gut-Behrami ist gut drauf.
Foto: Christoph Köstlin / SI Sport
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Mathias GermannReporter Sport

Sie war der Schatz der Nation. Sie war die Zicke der Nation. Und heute? Da ist Lara Gut-Behrami für die meisten etwas dazwischen. «Der Prophet im eigenen Land hat noch nie viel gezählt. Erst in einigen Jahren, wenn Lara längst zurückgetreten ist, werden die Menschen merken, wie grossartig sie war», meint Ski-Legende Marc Girardelli. Fakt ist: Rechnerisch zählt Gut-Behrami längst zu den erfolgreichsten Skirennfahrerinnen der Welt. Bei der WM in Courchevel/Méribel ist sie die grösste weibliche Schweizer Gold-Hoffnung.

Gut-Behrami selbst lässt das kalt. Es ist, wie sie nach ihrem Olympiasieg im letzten Februar sagte: «Ich definiere mich nicht durch diese Goldmedaille.» Vielmehr war sie stolz, die Hürden, welche sich ihr im Laufe der Jahre in den Weg stellten, übersprungen zu haben. «Ich war 16 Jahre alt, als ich in den Weltcup kam. Ein Kind. Bei vielen Dingen wusste ich nicht, wie ich mit ihnen umgehen solle. Ich war manchmal verloren und wusste nicht, was das Beste für mich ist. Ich musste einfach liefern, liefern, liefern.» Das führte zu Problemen – Gut-Behrami kämpfte mit dem Verband, mit Trainern, mit Journalisten und wohl auch mit sich selbst. Davon ist heute nichts mehr zu sehen.

Mit 31 Jahren hat Lara Gut-Behrami ihre innere Ruhe gefunden. Sie sagt: «Sport ist schön. Du kannst so viel erleben. Aber es ist kein einfaches Leben. Man gewinnt vielleicht mal Rennen, aber an allen anderen Tagen kämpft man nur. Ich bin glücklich, noch immer zu fahren, mich mit anderen zu messen und diese Dinge mit meiner Familie zu teilen. Ich versuche, alles in einem anderen Licht zu sehen. Mich nicht nur auf das Resultat zu fokussieren, sondern darauf, dass meine Familie und ich etwas Unglaubliches gemeinsam gemacht haben.»

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Keck wie Pippi Langstrumpf

Gut-Behramis unglaubliche Reise beginnt am 27. April 1991 in Sorengo TI. Dort erblickt sie das Licht der Welt. Ihre Mutter Gabriella Almici Gut ist Italienerin und Sportlehrerin und ihr Vater Pauli Gut Tessiner und Lehrer. Die junge Familie lebt in Comano, ganz in der Nähe Luganos. Vier Jahre nach Lara kommt Ian Gut dazu, nun sind sie zu viert.

Rasch beginnen die Eltern, ihre Leidenschaft, das Skifahren, mit ihren Kindern zu teilen. Weil Pauli Gut mit der Nachwuchsarbeit im Ski-Klub Airolo nicht einverstanden ist, gründet er 1999 einen eigenen Verein namens Sporting Gottardo. Hier kann er schalten und walten, hier kann der ehemalige Skirennfahrer (er fuhr nie im Weltcup) seine Kinder nach eigenem Gusto trainieren. Damals ahnte es noch niemand, doch das «Team Gut», mit dem Gut-Behrami noch heute privat im Ski-Zirkus unterwegs ist, wurde geboren.

Laras Talent auf den Ski ist schon früh zu erkennen. Allerdings nur für ihren Vater. Mit ihr steht er im Winter ständig auf den Latten. Einmal verbringen die beiden zehn Tage in einer selbst gebauten Hütte am Griesgletscher (3200 Meter über Meer), beim ersten Sonnenstrahl fahren sie in völliger Einsamkeit und Ruhe los.

Gut-Behrami in Zahlen

1 In der Saison 2015/16 schaffte sie das Kunststück: Sieg im Gesamtweltcup. Übrigens als einzige Schweizerin seit Vreni Schneider 1994/95.

335 Rennen ist Lara Gut-Behrami im Weltcup gefahren. Erstmals tauchte sie im Weltcup am 28. Dezember 2007 beim Riesenslalom in Lienz auf. Sie verpasste den zweiten Lauf um 46 Hundertstel.

71 – Unglaubliche 71 Mal stand Gut-Behrami auf einem Weltcup-Podest – davon 36 Mal als Siegerin.

8 – 8 Medaillen gewann sie bei Weltmeisterschaften. Sie musste bis Cortina 2021 warten, ehe sie aus Gold waren – dafür waren es gleich zwei (Riesenslalom und Super-G).

3 – Medaillen eroberte Gut-Behrami bei ihren 10 Starts an Olympischen Spielen. Herausragend: das Super-G-Gold vom letzten Jahrin Peking.

1 In der Saison 2015/16 schaffte sie das Kunststück: Sieg im Gesamtweltcup. Übrigens als einzige Schweizerin seit Vreni Schneider 1994/95.

335 Rennen ist Lara Gut-Behrami im Weltcup gefahren. Erstmals tauchte sie im Weltcup am 28. Dezember 2007 beim Riesenslalom in Lienz auf. Sie verpasste den zweiten Lauf um 46 Hundertstel.

71 – Unglaubliche 71 Mal stand Gut-Behrami auf einem Weltcup-Podest – davon 36 Mal als Siegerin.

8 – 8 Medaillen gewann sie bei Weltmeisterschaften. Sie musste bis Cortina 2021 warten, ehe sie aus Gold waren – dafür waren es gleich zwei (Riesenslalom und Super-G).

3 – Medaillen eroberte Gut-Behrami bei ihren 10 Starts an Olympischen Spielen. Herausragend: das Super-G-Gold vom letzten Jahrin Peking.

Medial in Erscheinung tritt Lara erstmals 2002. Elfjährig, mit Zahnspange unterwegs, dazu die Haare zu Zöpfen geflochten – Lara erinnert bei ihrem Auftritt im Tessiner Fernsehen RSI an Pippi Langstrumpf. Und sie hat ein ähnliches Mundwerk. «Ich glaube, dass ich in zehn Jahren im Weltcup auftauchen werde», sagt sie keck. Was manch einer als niedliche Träumerei abtat, sollte mehr als nur zutreffend sein. Ihr erster Trainer, Mauro Pini, erinnert sich: «Ich habe Lara erstmals getroffen, als sie 13 war. Es war schon damals ziemlich klar, dass aus diesem Mädchen eine grosse Skirennfahrerin werden würde. Für ihr Alter war sie enorm weit – vor allem aber lernte sie extrem schnell dazu. Es war der Wahnsinn.»

«Alles war ein Spiel für sie»

Ihr Weltcup-Debüt gibt Gut-Behrami am 28. Dezember 2007 in Lienz (Ö), sie ist 16 Jahre und 245 Tage alt. Zwar holt sie keine Punkte, einen Monat später geht ihr Stern am Ski-Himmel dennoch auf. Bei der Weltcup-Abfahrt in St. Moritz stürzt Gut, rutscht über die Ziellinie und wird Dritte. Hat sie sich verletzt? Nein! Die junge Frau mit den roten Backen steht auf, lacht und winkt mit Schnee im Gesicht den Fans zu. Spätestens jetzt weiss jeder: Gut wird, Verletzungen ausgenommen, ein Star werden.

Dabei hat Gut auch eine Last zu tragen. Denn: Ihr Privatteam kostet jährlich geschätzte 300'000 Franken. Ob ihr das bewusst war, ist fraglich. «Alles war wie ein Spiel für sie, Lara war unglaublich locker», so Pini. Das zeigte sich auch bei den Rennen, wo Gut noch Witze machte und lachte, ehe sie mit über 100 km/h über die Piste raste. Trainer-Legende Karl Frehsner, einst Berater im Team Gut, meinte: «Viele Gegnerinnen zerbrechen an Laras Lockerheit. Sie können nicht damit umgehen, wenn eine kurz vor einem wichtigen Rennen so entspannt ist.»

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«Hatte das Gefühl, nur noch ein Objekt zu sein»
Lara Gut-Behrami
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Bei der WM 2009 ist Gut noch immer ein Teenager. Sie holt zweimal Silber. Ihr Stern leuchtet so hell wie noch nie, Lara ist in aller Munde. Viele Jahre später wird sie allerdings sagen: «Nach dieser WM habe ich an Rücktritt gedacht. Ich hatte das Gefühl, nur noch ein Objekt zu sein.» Tatsächlich entstehen immer mehr Risse im makellosen Image des Ski-Postergirls. Das Team Gut engagiert einen dubiosen Sponsoring- und Medienprofi, der für Interviews auf einmal Geld verlangt. Sie verletzt sich an der Hüfte und verpasst die Olympischen Spiele 2010.

Gut wird im gleichen Dezember vom Verbandsboss Urs Lehmann suspendiert, weil sie trotz mehrfacher Ermahnung mit Kleidern ihres persönlichen Sponsors vor die Kamera tritt. Und sie tritt zunehmend launisch und schnippisch in der Öffentlichkeit auf. «Noch vor Jahren war sie ein ganz tolles Mädchen, jetzt ist sie ein arroganter Trampel», sagt ein ORF-Reporter zu Blick.

Auch die anderen Schweizerinnen im Team haben Mühe mit Guts Art und ihrem Alleingang im Ski-Zirkus – wohl vor allem, weil sie ihnen haushoch überlegen ist. Rückblickend relativiert Nadia Hürlimann-Styger (44), eine der damals aktiven Schweizerinnen: «Ihr Vater war auch immer dabei, deshalb war es immer etwas speziell.» Gestört habe sie dies nicht. «Ich konnte es verstehen, dass, wenn man von klein auf immer ein Privatteam hat, es nicht ganz einfach ist, sich in ein Team zu integrieren.»

Ein Schatten ihrer selbst

2014 sorgt die Frau, die die Matura mit Bestnoten abschloss, nicht nur im Ski-Zirkus, sondern schweizweit für Unruhe. Bei ihren ersten Olympischen Spielen wird sie in Sotschi (Russ) hinter den Ex-aequo-Siegerinnen Dominique Gisin und Tina Maze Dritte in der Abfahrt. Gut ist masslos enttäuscht, weint und wird als schlechte Verliererin bezeichnet. «Es war das erste Mal, dass ich eine Medaille so nah sah», entschuldigt sie sich. Zwei Jahre später folgt die Wende: Gut gewinnt als erste Schweizerin seit 21 Jahren den Gesamtweltcup. Alle jubeln ihr zu, alle wollen etwas von ihr.

Da ist er wieder, der Ski-Schatz der Nation. Gut strahlt in die Kameras, doch kurz darauf fällt sie in ein Loch, ist mental ausgebrannt. Bei der Heim-WM 2017 in St. Moritz GR folgt das, was sie als Signal des Körpers interpretiert: Sie reisst sich beim Einfahren zum Kombi-Slalom das Kreuzband im Knie. «Eine Verletzung ist kein Pech. Es gibt immer einen Grund dahinter», sagt sie später.

«
«Valon ist das Schönste, das mir je passieren konnte»
Lara Gut-Behrami
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Danach tritt Gut kürzer, sie geniesst die Auszeit aus dem Ski-Hamsterrad, nimmt sich auch zunehmend aus der Öffentlichkeit heraus und gibt kaum noch Interviews. Dem Erfolg hechelt Gut-Behrami in den folgenden zwei Jahren hinterher – sie gewinnt noch immer, aber eben auch nur selten. Manch einer rät ihr zum Rücktritt. Genau das stachelte sie an, ist Girardelli überzeugt: «Das war Laras Zaubertrank, ihr Adrenalin. Sie fuhr ja wie ein Schatten ihrer selbst, war aber nach wie vor ein Champion. Und Champions geben nicht auf, wenn es hart auf hart geht.»

Im Sommer 2018 sorgt Gut wieder für dicke Schlagzeilen – neben den Pisten. Nati-Krieger Valon Behrami (37) und sie geben sich auf dem Monte Brè in Lugano das Ja-Wort. Eine Traumhochzeit im Kreise der engsten Familie. «Valon ist das Schönste, das mir je passieren konnte», sagt Gut-Behrami, wie sie seither heisst. Wer auf Homestorys der beiden wartet, wird allerdings enttäuscht. Gut-Behrami verabschiedet sich aus den Medien, gibt nur noch Interviews, die sein müssen. Ihre Social-Media-Kanäle legt sie auf Eis. «Was ich privat mache, geht sowieso niemanden etwas an.» Pini erklärt den Wandel von der offenen, fröhlichen Lara Gut zur vorsichtigen, zurückgezogenen Lara Gut-Behrami: «Auf den Ski war ihre Entwicklung rasant. Daneben aber weniger schnell. Es war für sie enorm schwierig, in so jungen Jahren im Zentrum der Öffentlichkeit zu stehen.»

«Hoffe, Mama zu werden»

Auf den Ski geht es irgendwann wieder bergauf. 2021 gewinnt sie ihre ersten Goldmedaillen bei Grossanlässen, in Cortina wird sie zweifache Weltmeisterin (Super-G und Riesenslalom). Zu den Journalisten meint sie schmunzelnd: «Und ab sofort werdet ihr fragen, wann ich endlich Olympia-Gold hole, oder?» Genau so kommt es. Und Gut-Behrami liefert, ihr gelingt das Kunststück ein Jahr später in Peking. Nun ist ihr Palmarès komplett.

Ob in Courchevel/Méribel weiteres Edelmetall dazukommen wird? Gut-Behrami wird alles dafür tun. Sie ist eine Perfektionistin – in allem, das sie tut. Gleichzeitig hängt ihr Glück längst nicht mehr vom sportlichen Erfolg ab. Doch wie lange wird Gut-Behrami noch Ski fahren? Zuletzt klagte sie über Altersbeschwerden. Und vor drei Jahren meinte sie: «Ich hoffe, früher oder später Mama zu werden.» Das könne aber noch warten, sie rechne damit, bis 33 zu fahren. Sollte es so kommen, wäre nach der WM 2025 in Saalbach-Hinterglemm (Ö) Schluss.

Sicher ist schon jetzt: Gut-Behrami hat einen Platz in den Geschichtsbüchern des Skirennsports auf sicher. Noch ist sie nicht am Ende ihres Weges – weder sportlich noch privat. Und doch wirkt sie längst, wie sie sich gibt: vollendet.

«Denke nicht, dass ich bis 2026 noch mitfahre»
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Gut-Behrami über Zukunft:«Denke nicht, dass ich bis 2026 noch mitfahre»
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