Die grössten Rockstars auf der Ski-Bühne
Minsch rauchte bei Besichtigung, Miller feierte wilde Nächte

Krachende Partys gehören zum Weltcup-Zirkus wie der Hundschopf, die Mausefalle oder das Chuenisbärgli. Aber wer ist nun wirklich der grösste alpine Rock 'n' Roller aller Zeiten? Die Antwort gibt es hier.
Publiziert: 18.01.2025 um 20:26 Uhr
|
Aktualisiert: 18.01.2025 um 20:50 Uhr
1/10
Der Bünder Abfahrts-Held Jos Minsch hat die Zigaretten in der Zwischenablage seines Helms aufbewahrt.
Foto: Si
RMS_Portrait_AUTOR_1182.JPG
Marcel W. PerrenSki-Reporter

In der 58-jährigen Geschichte des Ski-Weltcups gibt es einige Kapitel, die belegen, dass grosse Erfolge nicht immer auf eine seriöse Wettkampf-Vorbereitung zurückzuführen sind. «Ich habe selber die Erfahrung gemacht, dass eine ordentliche Après-Ski-Party gewinnbringende Wirkung haben kann», gesteht der Österreicher Hans Knauss (53). «Nachdem ich miserabel in die Saison 1998/99 gestartet war, habe ich am Weihnachtstag an einer spontanen Fete in einer Skihütte derart viel Gerstensaft getankt, dass ich das Christkind doppelt gesehen habe. Danach bin ich nach Bormio gefahren, wo ich in der Abfahrt als Vierter die erste gute Platzierung in diesem Winter einfuhr.» Ein paar Wochen später hat Knauss auf der «Streif» in Kitzbühel triumphiert. 

Bei Besichtigung geraucht

Blick-Kolumnist Bernhard Russi (76) weiss, dass es in der Startphase des Weltcups besonders viele alpine Rock 'n' Roller gab. «Als ich das erste Mal für ein Weltcuprennen aufgeboten wurde, habe ich mit grossen Augen festgestellt, dass ungefähr die Hälfte der französischen Mannschaft, der Waadtländer Riesenslalom-Olympiamedaillengewinner Willy Favre und der legendäre Bündner Abfahrtsspezialist Jos Minsch während der Streckenbesichtigung Zigaretten geraucht haben.»

Minsch hat 1965 am Lauberhorn schmerzliche Berühmtheit erlangt, nachdem er bei der Kante unterhalb des Hundschopfs wie eine Rakete abgehoben hatte und bei der höchst unsanften Landung einen Beckenbruch erlitten hatte. Seither ist diese Kante nach Minsch benannt.

Drei Jahre nach diesem folgenschweren Abflug feierte der gelernte Maschinenmechaniker aus Klosters in Cortina d'Ampezzo seinen einzigen Weltcupsieg. Für Minschs langjährigen Weggefährten Dumeng Giovanoli grenzt es an ein Wunder, dass dieser Minimalist den Sprung an die Weltspitze geschafft hat: «Wenn ich so wenig trainiert hätte wie Jos, hätte ich den Sprung in die Nationalmannschaft wohl nie geschafft. Hat der Trainer uns im Sommer zum Laufen aufgefordert, hat er mit den Worten ‹Segglä hani nid nötig› verweigert.»

Der zweifache Slalom-Weltcupsieger Giovanoli hält fest, dass Minsch seinen Nikotinkonsum nie reduziert hat: «Damit Jos nach einem Rennen möglichst schnell seine Sucht befriedigen konnte, hat er während des Skifahrens die Zigarette in der Zwischenablage seines Helms versteckt.» 

Das traurige Ende dieser Heldensaga: 2008 ist Jos Minsch mit 67 an den Folgen einer Lungenerkrankung gestorben.

Russis Absturz mit Klammer

Schwierige Zeiten macht derzeit Roland Collombin durch, der gegen den Krebs ankämpfen muss. Der Unterwalliser, der zweimal am Hahnenkamm und einmal am Lauberhorn triumphierte, wird von vielen als der alpine Partykönig der 70er-Jahre bezeichnet. Doch Bernhard Russi, der 1972 vor Collombin die Olympia-Abfahrt in Sapporo (Jap) gewonnen hat, relativiert: «Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in meiner Karriere die heftigeren Räusche gehabt habe als Roland. Aber nicht, weil ich besonders viel Alkohol trank, sondern weil ich als seriöser Sportsmann nicht viel vertrug.»

Einen seiner heftigsten Abstürze hatte der Urner im Januar 1977 gemeinsam mit Franz Klammer, seinem grossen Widersacher aus Österreich. «Vor der Weltcup-Abfahrt in Morzine waren Franz und ich zu Gast beim welschen Fernsehen in Genf. Nach dem TV-Auftritt bin ich in meinem Hotelzimmer verschwunden. Aber weil ich nicht einschlafen konnte, habe ich mir an der Hotelbar ein Bier bestellt. Plötzlich ist Klammer auch an der Bar aufgetaucht, wo dann unser Entschluss gereift ist, uns gemeinsam ins Genfer Nachtleben zu stürzen. Wir waren bis um 5 Uhr unterwegs. Danach ging es mir so schlecht, dass ich mich beim Trainer für das erste Abfahrtstraining in Morzine abmelden musste.»

Im Rennen fuhr sich Russi dann aber in einen regelrechten Rausch. Nach über 1000 Tagen ohne Sieg feierte der Andermatter in Frankreich seinen zehnten und letzten Weltcupsieg.

Die rauschenden Olympia-Nächte von Miller

Der Amerikaner Bode Miller fuhr 33 Weltcupsiege ein. Zudem war der begnadete Allrounder Weltmeister in der Kombination, im Riesenslalom im Super-G und in der Abfahrt. Die einzigen Titel, die dem 47-Jährigen im Palmarès fehlen, sind der Kitzbühel- und der Olympiasieg. Im Fall von Miller ist sich Hans Knauss sicher, dass er es bezüglich Olympia-Partys übertrieben hat: «2006 in Turin ist Bode jede Nacht um die Häuser gezogen. Einmal hat er in der Diskothek im Gespräch mit mir behauptet, dass er aufgrund seiner Genetik mit drei Stunden Schlaf pro Tag auskommen würde. In Turin hat er aber keine Medaille gewonnen, obwohl er in den Rennen zuvor in bestechender Form war.»

Dafür gewann Bruno Kernen (52) in Turin die Bronzemedaille in der Abfahrt. Bei seiner Medaillen-Party hatte der Berner Oberländer dann eine legendäre Begegnung mit Miller: «Plötzlich stand Bode mit zwei sehr schönen Frauen vor mir. In der einen Hand hatte er eine Wodkaflasche, in der anderen einen Whiskeybehälter. Ich sagte zu ihm: ‹Bode, du tust wirklich alles dafür, damit du hier keine Medaille gewinnst.› Seine Antwort: ‹Wenn ihr Schweizer auch mal etwas lockerer wärt, würdet ihr längerfristig viel mehr gewinnen.›

Während der Weltcuprennen in Wengen war Miller Stammgast an der Startbar des gebürtigen Baselbieter Beni Scheiber. «Es kam vor, dass Bode in der Nacht vor einem Rennen auch schon mal bis um 4 Uhr morgens an der Bar sitzen blieb», erzählt Scheiber und spricht grinsend weiter: «Einmal hat sich Miller im Startgelände – vom Nachtleben gezeichnet – über seine Skistöcke gebeugt und ist fast eingeschlafen. Er kam dann zu mir in die Bar und bestellte entgegen seinen sonstigen Trinkgewohnheiten einen Pfefferminztee. Danach war er wieder richtig fit.» Miller hat 2007 auf der längsten Abfahrt triumphiert. 

Alkohol-Entzug auf der Alp

Dass man sich in der heutigen Zeit im Skirennsport keine regelmässigen Eskapaden mehr leisten kann, beweist die Biografie von Dominik Paris. Der Südtiroler stand mit 18 kurz vor dem Ende seiner Ski-Laufbahn. «Ab meinem 16. Lebensjahr habe ich mich lieber an Festivals statt im Trainingsraum aufgehalten. Und weil ich in dieser Zeit auch zu viel Alkohol konsumiert habe, war ich plötzlich nicht mehr leistungsfähig!»

Um der Versuchung des übermässigen Alkoholkonsums mit seinen Kumpels besser widerstehen zu können, verbrachte Paris einen Sommer als Viehhirt auf einer abgelegenen Alp am Splügenpass. Dort brachte er seinen Körper wieder in Form. Am Lauberhorn hat Paris zwar nie gewonnen. Dafür kann der 35-Jährige vier Kitzbühel-Erfolge, insgesamt 22-Weltcupsiege und das Super-G-Gold von der WM 2019 vorweisen. Auf dieses sportliche Lebenswerk darf Paris, der es in der Sommerzeit als Sänger der Metal-Band Rise of Voltage ordentlich krachen lässt, zumindest mit einem kleinen Bier anstossen.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?