Denkt Michelle Gisin (31) an Rücktritt?
«Ich muss die Freude wiederfinden»

Michelle Gisin steckt in einer Karriere-Krise. Die 31-Jährige kämpft mit mentaler Erschöpfung und muss sich entscheiden, ob sie weitermachen oder ihre Karriere beenden möchte. Blick spricht vor den Rennen in La Thuile (It) mit ihr.
Publiziert: 12.03.2025 um 19:37 Uhr
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Aktualisiert: 12.03.2025 um 23:05 Uhr
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Dieses Bild hat man in diesem Winter viel zu oft gesehen: Michelle Gisin (31) unzufrieden im Ziel. Dennoch kämpfte sie sich durch.
Foto: Sven Thomann

Mittwochnachmittag, Hotel Planibel in La Thuile (It). Draussen liest ein älterer Mann die «Gazzetta dello Sport». Einige Touristen schlurfen herum, auf den zwei alten Sesselliften ist kaum jemand zu sehen. Der Frühling hat auch im 800-Seelen-Dorf im Aostatal Einzug gehalten. Es scheint, als liege eine Ski-Müdigkeit in der Luft. Was bei Hobbyskifahrern normal ist, erstaunt im Fall von Michelle Gisin (31). Zwölf Jahre war sie, fast immer mit grosser Freude und ungebremster Leidenschaft, im Ski-Zirkus unterwegs. In diesem Winter ist vieles anders. Körperlich ist Gisin zwar so stark wie noch nie, doch der Kopf spielt nicht mit. Neben der Hotelbar nimmt sie sich Zeit für ein Gespräch.

Blick: Michelle Gisin, die Absage der Abfahrt von La Thuile hat auch ihre gute Seite, oder?
Michelle Gisin: Dadurch ist klar, dass ich als 22. der Disziplinenwertung zum Weltcupfinale in die USA reisen darf. Ich muss aber zugeben, dass dies für mich eigentlich gar kein Thema sein dürfte.

Bei der WM in Saalbach wollten Sie die Brechstange, die Sie in dieser Saison begleitete, endlich ablegen.
Das habe ich nicht geschafft, der Befreiungsschlag blieb aus. Was ich im Riesenslalom gezeigt habe, war sogar extrem enttäuschend.

Sie verloren 7,21 Sekunden auf die Bestzeit.
Im Riesenslalom habe ich meine Form den ganzen Winter nicht gefunden. Das ist aber nicht der Grund, warum mein Winter ein einziger Knorz ist.

Warum haben Sie die Freude am Skifahren verloren?
Im letzten Herbst habe ich gemerkt, dass die positiven Emotionen bei den Rennen nicht mehr da waren. Ich war mental erschöpft von den fast 300 Rennen, in denen ich den Fuss nicht vom Gaspedal gelassen hatte. Dies zu realisieren, war brutal – schliesslich war das Skifahren für mich immer mehr als nur ein Beruf.

Werfen Sie sich etwas vor?
Statt mir im Frühling in Ruhe die Frage zu stellen, wie ich die letzten Jahre bestreiten möchte, habe ich nach konkreten Zielen gesucht und gemeint, ich wolle im Gesamtweltcup einen Platz unter den Top 5 holen. Ich dachte, so könnte ich mich motivieren – aber das kam nicht von innen.

Der Start in den Winter war in Ordnung, doch dann ging rasch nichts mehr.
Es war wie ein Kartenhaus, das zusammenbrach. Ich musste mich zusammenreissen, um es überhaupt an den Start zu schaffen. Das habe ich zwar immer hingekriegt, aber im Rennen fehlte mir dann diese dringend benötigte Energie.

Hatten Sie auch Angst?
Nein. Aber mein Unterbewusstsein zog in den Speedrennen ab und zu die Handbremse an – zum Glück, denn sonst hätte ich mich wohl verletzt.

Es gibt einige, die meinen, ihr Materialwechsel von Rossignol zu Salomon vor knapp drei Jahren sei der Anfang vom Ende gewesen.
Das ist Blödsinn. Ich war im letzten Winter viertbeste Slalomfahrerin der Welt und fuhr in allen sechs Abfahrten in die Top 10. Ohne gutes Material wäre das nicht möglich gewesen.

Haben Sie daran gedacht, die Saison abzubrechen?
Ja, im letzten Dezember. Und ich hätte es tun sollen. Aber ich glaubte, dass es besser kommen würde. Heute bin ich schlauer.

Werden Sie im Frühling zurücktreten?
Diese Saison war oft derart negativ und frustrierend, dass ich so eigentlich nicht aufhören möchte. Aber ich muss die Freude am Skifahren wieder finden – sonst geht es nicht.

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