Mauro Caviezel liebt Hockey. In der Churer Industriezone trainiert er im Sommer regelmässig in der selben Folterkammer wie NHL-Star Nino Niederreiter.
Doch in der zweiten Juni-Woche wird ihm ein Unihockey-Spiel nach dem Kondi-Training zum Verhängnis. Der 32-Jährige absolviert mit seinem Trainer Tom Jäger ein Zwei-gegen Zwei-Duell gegen seinen jüngeren Bruder Gino (28) und Thomas Tumler.
Plötzlich begeht der Mann, der im letzten Winter ohne Sieg die kleine Super-G-Kugel gewonnen hat, ohne gegnerische Einwirkung einen Fehltritt und reisst sich dabei die Achillessehne am linken Fuss.
Zehn Tage nach der Operation sagt Mauro zu BLICK: «Meine Ärzte gehen davon aus, dass es bis zu meinem ersten Schnee-Training sechs Monate geht. Somit werden die ersten Speed-Weltcuprennen im kommenden Winter wohl ohne mich stattfinden.»
Aber dann geht alles sehr viel schneller. Caviezel macht in der Reha derart grosse Fortschritte, dass er bereits Anfang Oktober wieder auf den Ski steht. Und Ende Oktober stellt er in den teaminternen Trainingsläufen im Vergleich mit Beat Feuz schon wieder Bestzeiten auf.
Nach Trainingssturz zusammengestaucht
Doch ein paar Tage vor der Abreise zum Speed-Weltcup-Auftakt nach Val-d’Isère muss der in Pfäffikon SZ residierende Bündner den nächsten Rückschlag in Kauf nehmen. Caviezel fliegt im Abfahrts-Training in St. Moritz übel ab, die Hüfte schwillt heftig an.
Auf dem Heimweg wird Mauro deswegen von einem ehemaligen Rennfahrer-Kollegen zusammengestaucht: «Mauro, du musst endlich lernen, deine Trainingsläufe besser zu dosieren. Du fliegst pro Jahr mindestens fünf Mal heftig ab im Training, das ist viel zu viel. Du musst nicht immer 120 Prozent geben, es reicht, wenn du im Training auch mal nur 80 Prozent fährst.»
Auf Caviezels Sieger-Piste verunfallte Beltrametti
Aber dieser Vollgas-Typ kann eben gar nicht anders als immer voll ans Limit zu gehen. Und genau deshalb gelingt ihm am Samstag in Frankreich bei starkem Schneefall und schlechter Sicht eines der eindrücklichsten Comebacks in der Alpin-Geschichte.
In seinem 104. Weltcuprennen feiert der Sohn eines Brillen-Designers nach sechs zweiten Rängen seinen ersten Weltcupsieg. Und das ausgerechnet auf der «Piste La Daille», auf der sein grosses Idol Silvano Beltrametti vor 19 Jahren nach einem Abfahrts-Crash mit einer Querschnittslähmung im Rollstuhl gelandet ist.
«Als Kind wollte ich immer so sein wie Silvano und habe mich ständig informiert, wie er trainiert. Ich habe jeden Bericht über ihn richtiggehend aufgesaugt. Irgendwann habe ich im TV gesehen, wie Silvano mit den Skischuhen auf einem Gymnastikball in die Abfahrts-Hocke geht. Als 13-jähriger Bub habe ich das erstmals nachgemacht.»
Wie sein Idol zu seinem Fan wurde
Vor ein paar Jahren hat Mauro Beltramettis Trainer und Jugendfreund Tom Jäger als Kondi-Coach verpflichtet. Und mittlerweile gehört Beltrametti zu den grössten Caviezel-Fans. «Es gibt im Ski-Zirkus kein anderer Rennfahrer, der körperlich so stark ist wie Mauro. Zudem imponiert er mir mit seiner enormen Risiko-Bereitschaft.»
Beltrametti denkt diesbezüglich vor allem an Caviezels Wahnsinns-Sprung, den er im letzten Winter bei der Kombi-Abfahrt in Wengen über den Hundschopf gemacht hat. «Zu meiner Aktivzeit hat man immer gesagt, dass man ein extrem wilder Hund sei, wenn man mit dem Stock das Netz vom Hundschopf berühre. Mauro hat das Netz sogar mit dem Skischuh berührt - Sensationell!»
Sensationell fühlt sich Caviezel natürlich auch jetzt, wo er endlich vom obersten Treppchen des Podiums grüssen darf. «Ich kann es wirklich fast nicht glauben, dass ich dieses Rennen gewonnen habe. Nach dem Abfahrts-Training am Vortag hatte ich nämlich ein ganz schlechtes Gefühl.» Wetten, dass Mauro Caviezel heute mit einem bombastischen Gefühl an den Abfahrts-Start gehen wird?