Auf einen Blick
- Lara Gut-Behrami verzichtet emotional auf Sölden-Start
- Knieverletzung in Chile, Grippe im Oktober
- Beispiel Larisa Yurkiw zeigt, dass es der Anfang vom Ende sein könnte
Das Interview mit der FIS-Medienverantwortlichen ist 55 Sekunden alt, als etwas passiert, das man bei Lara Gut-Behrami (33) seit langem nicht mehr erlebt hat. Sie, die oft so kühl und distanziert wirkt, wird von den Emotionen übermannt. Mit zittriger Stimme und wässrigen Augen erklärt sie: «Es ist hart, auf den Start zu verzichten. Denn ich liebe dieses Rennen. Ich liebe es immer, Rennen zu fahren.»
Doch es geht nicht. «Ich will nicht, dass eine Verletzung meine Karriere entscheidet. Ich will selbst bestimmen, wann es fertig ist. Ich glaube nicht, dass es heute ist.» Dann, nach zwei Minuten, ist das Gespräch vorbei. «Entschuldige die Tränen», sagt Gut-Behrami. Kurz darauf sieht man, wie Vater Pauli sie vom Gletscher ins Tal fährt.
Gut-Behramis Forfait ist kein Schock, weil sie schon vor zwei Tagen betont hatte, sich nicht besonders gut zu fühlen. Ganz sicher ist ihr Sölden-Verzicht allerdings ein grosser Dämpfer. Für Swiss-Ski, aber vor allem für sich selbst. Und es stellen sich grundlegende Fragen.
«Fast alle Muskeln verloren»
Erstens: Wie konnte es so weit kommen? Der Ursprung liegt in Corralco. Hier, in den chilenischen Anden, spürt Gut-Behrami im September nach einem Schlag einen Schmerz im Knie. «Es war nichts Schlimmes, aber ich wollte es abklären lassen», sagt sie. Nach dem Rückflug in die Schweiz lässt sie sich untersuchen. Ein MRI zeigt: Nichts ist beschädigt, nichts ist kaputt. Gut-Behrami atmet auf.
Kurz darauf, am 30. September, wird sie krank. «Ich lag vier Tage flach im Bett, konnte nichts essen.» Drei Wochen lang kann sie nicht trainieren. «Ich habe fast alle Muskeln verloren.» Und dann meldet sich das Knie wieder. Es ist kein grosser Schmerz, aber Gut-Behrami fehlt das Vertrauen.
Genau das passiert ihr auch bei der Besichtigung in Sölden. «Ich habe gedacht, dass ich am Renntag alles vergessen würde, was im letzten Monat passiert ist. Dass ich mein Vertrauen zurückhabe. Aber es war nicht so.» Sie könne nicht mit 90 Prozent an den Start gehen und Zweifel haben, ob sie gesund sei. «Ich will nicht, dass ich blöd stürze oder mich verletze. Da ist mir das Risiko zu gross.»
«Das Knie ist eigentlich gesund»
Gut-Behrami hat nun einen Monat Pause, ehe es für sie mit dem Riesenslalom in Killington (USA) weitergehen wird. Man kann davon ausgehen, dass sie im Gesamtweltcup dann bereits weit hinter Mikaela Shiffrin (28, USA), ihrer wohl grössten Rivalin, zurückliegen wird. Denn: Dazwischen stehen noch Slaloms in Levi (Fi) und Gurgl (Ö) an. Bei diesen Rennen könnte Slalom-Königin Shiffrin mächtig punkten.
Das wird Gut-Behrami allerdings egal sein. Sie will körperlich und mental wieder auf ihr gewohntes Niveau kommen. «Das Knie ist eigentlich gesund», sagt sie. Aber eben: Die Grippe hat sie zurückgeworfen und das Vertrauen fehlt noch. «Ich finde es eine reife Entscheidung von Lara. Sie weiss, was sie braucht und es bringt nichts, etwas zu erzwingen», meint Frauen-Cheftrainer Beat Tschuor. «Wir werden alles tun, um ihr die besten Rahmenbedingungen zu bieten, damit sie stärker denn je zurückkommen kann.»
Sie denkt über die Zeit nach dem Skisport nach
Es dürfte jetzt aber auch den einen oder anderen Ski-Fan geben, der sich denkt: Das ist der Anfang vom Ende für Gut-Behrami! Sie selbst zieht einen Vergleich mit der Kanadierin Larisa Yurkiw (36), die 2016 mit erst 28 Jahren zurücktrat. «Sie hat mal gesagt, sie will in ihrem restlichen Leben gesunde Knie haben. Ich habe immer Athletinnen bewundert, die gesagt haben, dass sie nicht fahren können.»
Bereits am Donnerstag machte sich Gut-Behrami in einer Medienrunde grundsätzliche Gedanken über ihre Zukunft. Sie müsse sich im Winter immer mehr überwinden, um das Limit zu finden. «Das braucht viel Energie. Und ich merke, dass mich dies langsam auffrisst. Ich fahre gerne Ski und Rennen, aber irgendwann wird die mentale Belastung zu gross.»
Gut-Behrami betonte, dass sie mit 33 Jahren an einem ganz anderen Punkt im Leben stehe wie früher. «Und da kommen andere Gedanken auf. Ich habe mir ein wunderschönes Leben neben dem Skifahren geschaffen – irgendwann will ich dieses voll geniessen.»
Wann dies sein wird, steht in den Sternen. Sicher ist: Die Ausgabe Sölden 2024 hat nicht zu vermehrtem Optimismus beigetragen – im Gegenteil.