Der mondäne Retorten-Ort Beaver Creek (USA) beinhaltet einige Dinge, die bei Klimaaktivisten Schnappatmung auslösen. Die Fussgängerzone ist mit einer Bodenheizung bestückt. Unmittelbar neben dem Eislaufplatz in der Ortsmitte steht eine Feuerstelle, die mit Gas betrieben wird. Die riesigen Weinhnachtsbäume werden weit über die Adventszeit hinaus künstlich beleuchtet. Und im Vergleich zu den gigantischen Autos, mit denen die millionenschweren Ferienhausbesitzer hier herumkutschieren, gehört ein Porsche Cayenne zu den Kleinwagen.
Die Zürcher Abfahrtshoffnung Niels Hintermann (28) schüttelt beim Spaziergang durch Beaver Creek immer wieder sein kantiges Haupt. «In den letzten Monaten konnte man aufgrund der Berichterstattung in den Medien den Eindruck gewinnen, dass der Skisport die grösste Belastung für die Umwelt darstellt. Aber gerade hier in den USA gibt es genügend Beispiele, die belegen, dass der Ski-Zirkus sicher nicht das grösste Problem darstellt.»
Hintermann nimmt jetzt richtig Fahrt auf: «Der Skirennsport wird derzeit durch einige Medien diskriminiert! Unserem Sport wird im Vergleich zu anderen Sparten unrecht getan. Die Teams der NHL oder der NBA fliegen jeden zweiten Tag quer durch Amerika. Der Formel-1-Zirkus umrundet die Welt mehrmals im Jahr. Deshalb wehre ich mich dagegen, dass wir Alpine als Hauptschuldige dargestellt werden.»
Gleichzeitig macht der 28-Jährige klar, dass gewisse Fehler nicht ein zweites Mal passieren sollten: «Im letzten Winter sind gewisse Riesen- oder Slalom-Spezialisten für ein einziges Weltcuprennen von Europa nach Nordamerika geflogen. Der Weltcup-Zirkus soll auf der ganzen Welt ausgetragen werden. Aber nicht mit einzelnen Rennen, sondern in längeren Blöcken.»
Hintermann legt auf seiner Sightseeing-Tour durch Beaver Creek einen Zwischenhalt vor dem Schaufenster der Bijouterie ein. Im Juli wird der Triumphator der Kvitfjell-Abfahrt 2022 seine Herzdame Lara vor den Traualtar führen. Sucht er noch nach dem passenden Ehering? Niels winkt ab: «Die Preise hier entsprechen definitiv nicht meinem Budget!»
Der Drittplatzierte der vorletzten Hahnenkamm-Abfahrt deutet auf ein Armband: «Dieses kleine Ding kostet 6000 Dollar – das ist doch der reine Wahnsinn.»
Wahnsinnig weit gehen in Beaver Creek meistens die Sprünge auf der «Birds of Prey»-Abfahrt – am «Golden Eagle» wurden in der Vergangenheit schon Sätze über die 70-Meter-Marke hinaus gemessen. Das alles ist ganz nach dem Geschmack vom Bülacher Hintermann. «Ich liebe diese Piste, weil sie mit dem langen Gleitstück zum Auftakt, den darauffolgenden schnellen und langgezogenen Kurven sowie den weiten Sprüngen die kompletteste Abfahrt im Weltcup-Zirkus ist.»
Die Ortschaft Beaver Creek wird der Mann mit dem italienischen Übernamen «Cinghiale» (zu Deutsch: «Wildsau») aber nie so richtig ins Herz schliessen. «Es ist ein bisschen wie im Disneyland. Oberflächlich betrachtet ist alles wunderbar, aber wenn man genauer hinschaut, erkennt man einige Mängel. Im Gegensatz zur Schweiz kann man hier nicht sorglos Wasser vom Hahn trinken.»
Aber vielleicht kann Niels Hintermann nach der ersten Abfahrt am Freitag ja einen kräftigen Schluck Champagner von der Siegerflasche trinken.