Die Nervosität ist Urs Kryenbühl deutlich anzumerken. Dass der sonst so coole Draufgänger vom Unteriberg bereits drei Monate vor der ersten Weltcup-Abfahrt in Lake Louise (Ka) einen stark erhöhten Pulsschlag an den Tag legt, ist nicht wirklich erstaunlich.
Der 27-Jährige steht auf dem Gletscher in Zermatt erstmals seit seinem fürchterlichen Sturz am 21. Januar in Kitzbühel auf Speed-Ski. «Ich bin mir zwar zuversichtlich, dass es funktionieren wird» meint Kryenbühl vor dem Start zum Super-G-Training. «Aber ob ich der hohen Geschwindigkeit wirklich wieder gewachsen bin, werde ich eben erst nach diesem Training wissen.»
Die bange Frage, die sich der Athlet und seine Betreuer vor diesem besonderen Belastungstest stellen: Hält das rechte Knie?
Zur Erinnerung: Obwohl er nach seiner Bruchlandung beim Hahnenkamm-Zielsprung die Diagnose Kreuz- und Innenbandriss erhalten hat, lehnte «Ürsel» einen operativen Eingriff ab. Stattdessen hat sich der Mann, der sich seit zwei Jahren vorwiegend vegan ernährt, den Vater seiner Freundin aufgesucht, der als Naturarzt tätig ist. Einige Swiss Ski-Trainer haben diese Aktion mit viel Skepsis quittiert.
Sonder-Lob vom Trainer
Doch nun wird ein erstes Mal deutlich, dass Kryenbühls Schwiegervater in spe sein alternatives Handwerk beherrscht - auf jeden Fall meistert Urs seine erste Speed-Session seit dem Abflug aus der «Streif» ohne Probleme.
«Die Zeiten haben wir zwar noch nicht gestoppt, aber rein optisch betrachtet hat Urs in den ersten fünf Läufen im Vergleich mit seinen Teamkollegen voll mithalten können. Er fährt wirklich schon wieder sehr gut Ski», schwärmt Speed-Cheftrainer Reto Nydegger.
«Es ist wirklich sehr gut gelaufen», sagt auch Kryenbühl. «Ich spüre nach diesem Test überhaupt keine negative Reaktion vom Knie. Und ich hatte auch mental keine Schwierigkeiten, bei einem Tempo um die 110 Stundenkilometer ans Limit zu gehen.»
Sein ehemaliger Teamkollege Marc Gisin ist nach einem vergleichbaren Sturz 2018 in Gröden genau daran gescheitert, der Engelberger wurde bei seinem Comeback-Versuch von seinem Unterbewusstsein ausgebremst. Doch bei Kryenbühl, der bis dato drei Weltcup-Podestplätze eingefahren hat, deutet sich nach der Horror-Einlage in Kitzbühel ein filmreifes Happy-End ab.