Was am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest zu allererst auffällt, ist diese Lockerheit, mit der die Gastgeber dem riesigen Menschenauflauf begegnen. In Pratteln BL kann man tatsächlich alles mit in die Arena hinneinnehmen, von der Teekanne über das Brotmesser bis zum Flachmann. Nirgends steht ein hässiger Security-Mitarbeiter, der es verhindern würde – aus Angst vor Krawallmachern oder weil der Veranstalter eine möglichst satte Marge auf Speis und Trank erzielen will. Nein, bei diesem Mix aus Folklore, Chilbi und Mustermesse sind überall nur freundliche Helfer anzutreffen. Sogar die Security-Leute sind nett.
Ist die Rede vom Eidgenössischen, geht es zuerst einmal ums Reinkommen. Wer unbedingt hineinwill, so zeigt sich, schafft das auch. Der Trick «Bezahl zwei, nimm drei» ist so simpel wie effizient: zu zweit mit zwei Billetts in die Arena, einer bleibt drin, der andere geht mit den Tickets wieder raus und schleust den dritten Kumpel hinein. In den Gängen drücken sich immer ein paar solche blinde Passagiere herum, die vom erschummelten Platz keinen Schritt weg machen wollen, störrisch wie eine Eringer Kuh.
Und doch muss gesagt sein: Alles in allem sind die Trickser eine kleine Minderheit, die Schwinger sehen sich als korrektes Völkchen. Es gibt darum auch eine Tauschbörse. Ab Mittag floriert hier der Handel, erstaunlicherweise nicht zu jenen Fantasiepreisen, zu denen die wenigen Eintritte seit Wochen auf dem Schwarzmarkt den Leichtgläubigen angedreht wurden.
Aber manche wollen gar nicht mehr hinein ins Heiligtum. Wie Roman (68) aus Muri im Aargauer Freiamt, vor sich ein Sackmesser, das Znüni und selbstverständlich ein Gläschen Rosé. An 14 Eidgenössischen und 30 Bergschwingen war er schon. Mittlerweile «will er sich aber etwas mehr bewegen können», sagt er.
Denn im Grunde ist es drinnen ja so: Die urchigen Fans bleiben auf ihren Plätzen, sie packen zum Zmittag ihr Picknick aus und hocken von früh bis spät in der Arena. Und das mag Roman eben nicht mehr, darum sitzt er jetzt draussen auf einer Festbank und verfolgt das bunte Treiben an den riesigen Bildschirmen – wie Tausende andere mit ihm.
Das grosse Geld
In Pratteln gibt es viel Patriotismus, Uriges und gepflegtes Brauchtum. Aber auch die Kasse – das Budget beträgt 42 Millionen Franken – muss stimmen. Ohne die Sponsoren wäre eine solche Sause halt nicht möglich, heisst es allenthalben, bei vielen schwingt dann jeweils ein bedauerlicher Unterton mit. Und als Besucher fragt man sich, ob es sein muss, dass Firmen für die paar Tage zweistöckige Sponsorenhäuser hochziehen.
So lauschen manche in Pratteln andächtig den Alphornklängen, während gleich daneben die Werbefigur eines Bohrmaschinenherstellers mit Kindern oder Betrunkenen kuschelt. Urschweizerisches Idyll neben urkommerziellen Auswüchsen.
Man muss es sagen: Beim Schwingen geht es mittlerweile, wie sonst auch im modernen Sport, ums grosse Geld. Das Sponsoring ist omnipräsent und erfolgt in allen Farben und Formen. Da gibts den Weg des Gigantismus, wie ihn etwa die Kantonalbank Baselland gewählt hat, mit einem 15 Meter hohen und 2000 Quadratmeter grossen Festzelt, wo 850 Gäste an weiss gedeckten Tischen verköstigt werden können. Andere verfolgen eine eher niederschwellige Strategie, wie der Agrarkonzern Syngenta. Der Pestizid-Hersteller grüsst die Besucher mit unschuldigen Blumentöpfen.
Ein Sujet, das natürlich ebenfalls bewirtschaftet werden will, sind die Lebendpreise, also der Siegermuni und seine Herde. Auffallend viele Tiere tragen gekünstelte Namen, die an die zahlenden Firmen erinnern sollen. Wer würde sein Rind sonst ernsthaft «Landina» oder «Salina Helvetica» nennen?
Tierschützer und Russinnen
Dann nehmen Tierschützer vor dem Siegermuni Aufstellung. «Wir sind nicht gegen Tradition, aber gegen die Ausnützung der Tiere», erklärt eine Aktivistin den Protest. Sie halten Plakate vor die Brust, modisch haben sie sich den örtlichen Gegebenheiten angepasst, sind also in Tracht erschienen. Nur ist ihr Timing suboptimal, denn der Stall ist mehrheitlich verwaist, die meisten Tiere werden gerade durch die Arena geführt. Auch das gemeinsame Singen der Demonstranten fällt nicht besonders kraftvoll aus. Die meisten Besucher interessiert das alles nicht so sehr, einige wenige rufen etwas Unflätiges herüber, irgendwann kommt die Securitas und in deren Windschatten wartet zurückhaltend die Polizei.
Keiner will hier unschöne Bilder produzieren, von Menschen in Handschellen oder dergleichen, denn am Tag zuvor kam es bereits zu einem politischen Malheur. Beim Festumzug, an dem eine Gruppe Russinnen in Trachten mitmarschierte und Russland-Fahnen schwenkte, präsentierte eine von ihnen Putins Kriegssymbol, ein grosses Z.
Eine andere Attraktion ist natürlich der Gabentempel. Hier drängen sich die Leute so dicht, dass der Besucherstrom nur auf einer «Einbahnstrasse» geleitet werden kann. Auch der Huggel Beni, wie man im Schwingen sagt, also Beni Huggel – früher Basler Fussballer, heute TV-Experte –, will sich von Motorrädern, WC-Schüsseln und Kuhglocken ein Bild machen. Welchen Preis würde einer auswählen, der als Sportler (fast) alles gewonnen hat? «Den fahrbaren Rasenmäher», sagt der Tschütteler natürlich.
Bei den Steinstossern zeigt sich derweil, dass die Welt nicht gerecht ist. So sehr sich Speaker Roland Stähli auch Mühe gibt, egal welchen Spruch er auspackt («Jetzt kommt der Oldie, ein bisschen graue Haare hat er, aber das macht ihn männlich») – immer wird sein Sport im Schatten stehen. Hier schauen 100 zu, drüben in der Arena sind es über 50'000.
Und dann wären da noch die Ehrendamen. Weil an dem Fest unübersehbar Männerüberschuss herrscht und weil gerade wieder ein paar Burschen Kurs auf die Trachtenfrauen nehmen, sei die Frage erlaubt: Wird Frau als Ehrendame viel angeflirtet? «Es geht. Wir sind darin geschult», wiegeln diese ab und lachen souverän. Man glaubt ihnen aufs Wort.