Weil er früher seine ersten Gänge etwas verschlafen hat, marschiert Domenic Schneider vor seinem ersten Gang nun immer an den Brunnen. Holt dreimal aus und spritzt sich mit kräftigen Schlägen auf die Wangen das Wasser ins Gesicht. «Aufwachen, Domenic!»
Und seit diesem Ritual ist Schneider seit Jahren so wach und ausgeschlafen wie kaum ein anderer. Er gehört in der Ostschweiz hinter Teamleader Samuel Giger zu den absoluten Leistungsträgern und zu den fleissigsten Kranzsammlern.
Und er wird auch auf der Schwägalp auf dem Weg zu seinem sechsten Kranz schwer zu stoppen sein. Oder liegt gar mehr drin? «Der Kranz ist das Minimalziel. Alles andere ist Zugabe», schmunzelt Schneider.
Der gemütliche Teddybär
Der 28-jährige Thurgauer gehört zu den Musterschülern des Nationalsports. Sein Bruder Mario hat ihn einst ins Schwingtraining geschleppt. Aber der Sport war für ihn immer auch Freude und Spass und nie eine verbissene Angelegenheit.
Darum stört es ihn auch nicht, dass er eher die Postur eines gemütlichen Bären denn eines Musterathleten hat. Einen Ernährungsberater hat er nicht. «Ich habe schon früher gegessen, was die Mutter auf den Tisch gestellt hat. Und das ist so geblieben.»
Mittlerweile sitzt er mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern am Tisch. «Ich bin Schwinger mit Leidenschaft. Aber wenn man halt mal einen Gang verliert, dann ist das so. Die Familie ist wichtiger. Und der Genuss im Leben darf auch nicht zu kurz kommen», sagt Schneider. Was nicht heisst, dass er nicht fokussiert und seriös trainiert.
Dreimal in der Woche steht das Training beim Schwingklub am Ottenberg auf dem Programm, wo er auch Bruder Mario und selbst Samuel Giger hin und wieder aufs Kreuz legt. Die Wendigkeit und Dynamik sind bei einem Körpergewicht von etwas mehr als 140 Kilogramm beeindruckend. Und seine Brücke am Boden ist gar phänomenal.
Viel Verantwortung mit 28 Jahren
Und der Familienvater hat schon im Alter von 28 Jahren viel Verantwortung. Vor einigen Monaten hat er den Hof der Eltern übernommen. Seine Mutter führt weiterhin den Hofladen, in dem, wie es sich für eine richtige Thurgauer Bauernfamilie gehört, der Süssmost aus eigener Produktion verkauft wird. Mit seinen roten Backen ist er der ideale Werbeträger für seinen Most ab Hof. Im Betrieb hilft ihm sein Vater. «Mein Tag beginnt morgens um 5 Uhr. Aber wenn Schwingfeste sind, dann springt mein Vater ein.»
Einen Schreckmoment erlebt er vor einigen Wochen auf dem Weissenstein, als er während dem Gang gegen Thomas Sempach den Ehering verliert. «Das hat mich für einen Moment schon irritiert. Aber ich habe einfach weitergeschwungen.» Er hat sich mit einem Sieg für den Schlussgang qualifiziert. Und danach im Sägemehl gewühlt, bis er fündig wurde.
Hat er da erhöhten Puls gehabt und an ein mögliches Donnerwetter der Ehefrau gedacht? Auch bei dieser Frage bleibt der Gemütsmensch Schneider gelassen. «Sie hätte mich am Abend sicher auch ohne Ehering wieder zurückgenommen.»
Domenic Schneider, der gemütliche Teddybär, kann aber auch ganz anders. Dann bläst der Wolf im Schafspelz mit dem unschuldigen Gesicht zur Attacke. Der Angriff von der ersten Sekunde weg ist Programm – wie ein Kugelblitz. Das wird auch beim Eidgenössischen in Pratteln so sein. Dort kann er für seinen Klubkollegen Samuel Giger eine grosse Unterstützung sein. «Aber erstmals suche ich meine eigene Chance. Der dritte eidgenössische Kranzgewinn ist das Minimalziel. Und dann schauen wir weiter.»
Und gewinnt er auf der Schwägalp oder in Pratteln weitere Lebendpreise, so hat er zu Hause noch Platz. Drei Rinder, die er bei Schwingfesten gewonnen hat, stehen schon im Stall.