Das hält Noldi Ehrensberger von seinen Schwingerkollegen
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«Mein grösstes Vorbild»:Das hält Noldi Ehrensberger von seinen Schwingerkollegen

Selbstmordgefährdet!
Schwing-Legende Ehrensberger spricht über seine grösste Krise

Noldi Ehrensberger ist ein Mann der klaren Worte: Der 69-Jährige kritisiert das viele Geld im Schwingen, ärgert sich über Christian Stucki und erklärt, warum er einst nicht mehr leben wollte.
Publiziert: 16.04.2023 um 12:45 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2023 um 16:18 Uhr
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Noldi Ehrensberger (r.) zählt zu den erfolgreichsten Schwingern aller Zeiten. Im Bild gegen Ernst Schläpfer.
Foto: Keystone
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Daniel LeuStv. Sportchef

Herr Ehrensberger, das Schwingen ist längst ein Millionenbusiness. Gefällt Ihnen diese Entwicklung?
Noldi Ehrensberger: Hätte ich am ESAF 1977 vor der Rangverkündigung dem damaligen Obmann Ernst Marti gesagt, dass in 45 Jahren ein Schwinger gesponsert von Lidl gegen einen Schwinger gesponsert von Aldi antreten wird, hätte er mir gesagt: «Mit dir stimmt etwas nicht. Dich kröne ich nicht zum König.» Doch heute sieht es genau so aus. Wüssten das unsere Schwingväter, würden sie sich im Grab umdrehen. Ich bin froh, dass ich in einer Zeit geschwungen habe, in der es noch nichts zu verdienen gab.

Wie sind Sie überhaupt zum Schwingen gekommen?
Über die Jugendriege. Als ich zehn war, ging ich runter zur Thur zum Baden. Dort sprach mich der Jugi-Leiter an und sagte: «Du mit deinem Babyspeck, dir würde die Jugendriege guttun.» Ein Jahr später fand der Jugi-Tag in Seuzach statt. Kurz vor dem Wettkampf sagte mir der Leiter: «Du kannst ja noch nicht einmal richtig den Purzelbaum. Deshalb darfst du heute nicht am Wettkampf teilnehmen.»

Bereits einige Jahre später waren aber Sie in drei Sportarten top: im Ringen, im Nationalturnen und im Schwingen.
Mit 14 fuhr mich mein Vater in den Schwingklub Winterthur. Dort trainierte unter anderem die Legende Karl Meli. Obwohl ich am Anfang nur umgefallen bin, hat es mir sofort gefallen.

Träumten Sie schon da von einer Karriere als Schwinger?
Nein, ich wollte eigentlich wie meine Eltern Bauer werden. Meine drei Geschwister und ich wuchsen auf einem Hof in Alten bei Andelfingen auf. Wir hatten eine glückliche Kindheit.

Wie sah es finanziell aus?
Geld hatte es im Haus nie. Wir konnten uns deshalb auch nie Ferien leisten, doch wir hatten genug Essen, ein warmes Bett und eine Mutter, die für uns geschaut hat. Wir hatten damals noch keine Dusche oder eine Badewanne. Wir alle wurden im Schüttstein gewaschen.

Sie wurden dann nicht Bauer, sondern Metzger. Warum?
Unser Hof war zu klein, das hätte sich nicht gelohnt. Deshalb machte ich im Nachbardorf Marthalen eine Metzgerlehre. Gleich dort, wo einst der legendäre Ferdy Kübler aufwuchs. Zwischen ihm und mir entstand später eine wunderbare Freundschaft. Fünf Wochen vor seinem Tod durfte ich ihn noch im Spital besuchen.

Wie war dieses letzte Treffen?
Als ich ins Zimmer reinkam, lag er im Bett. Ich dachte zuerst, er sei tot. Dann wachte er auf und sah mich mit den Blüemli in den Händen. Ich sagte ihm: «Ferdy, du bist der grösste Sportler aller Zeiten.» Er begann zu weinen und sagte: «Du warst aber auch ein Grosser.»

In den 70ern zählten Sie zu den erfolgreichsten Schwingern. Wie war das damals?
Noch sehr konservativ. Beim Nordostschweizerischen 1971 in Meilen trugen drei Schwinger lange Haare. Da kam Otto Brändli vom Verband und sagte: «Ihr müsst zuerst die Haare schneiden, bevor ihr schwingen dürft.» Werbung war damals noch verboten. Unsere Vorgänger haben definitiv nicht alles falsch gemacht. Es gab damals intelligente Menschen, die sich nie abhängig von Drittpersonen gemacht haben.

Noldi Ehrensberger

Der 69-Jährige war ein richtiger Allrounder. Er gewann dreimal die Eidgenössischen Nationalturnertage und einmal das Eidgenössische Turnfest (1978). In Basel krönte er sich 1977 zum Schwingerkönig. Insgesamt holte er sich 4 eidgenössische Kränze und feierte 20 Kranzfestsiege.

Nach seiner Karriere war er ein leidenschaftlicher Radfahrer. Er machte vier grosse Fernfahrten, fuhr unter anderem zweimal die Originalstrecke vom Klassiker Mailand–Sanremo und radelte von der Schweiz nach Amsterdam.

Ehrensberger hat einen Sohn, ist geschieden, ist seit 14 Jahren mit Monica liiert und lebt in Adlikon ZH.

Der 69-Jährige war ein richtiger Allrounder. Er gewann dreimal die Eidgenössischen Nationalturnertage und einmal das Eidgenössische Turnfest (1978). In Basel krönte er sich 1977 zum Schwingerkönig. Insgesamt holte er sich 4 eidgenössische Kränze und feierte 20 Kranzfestsiege.

Nach seiner Karriere war er ein leidenschaftlicher Radfahrer. Er machte vier grosse Fernfahrten, fuhr unter anderem zweimal die Originalstrecke vom Klassiker Mailand–Sanremo und radelte von der Schweiz nach Amsterdam.

Ehrensberger hat einen Sohn, ist geschieden, ist seit 14 Jahren mit Monica liiert und lebt in Adlikon ZH.

Sie haben über die damalige Zeit mal gesagt: «Ich hatte ein Leben wie Hannes Schmidhauser in jungen Jahren.»
Ich war Junggeselle und habe ab und zu eine Ehrendame nach ihrem Heimweg gefragt.

Und wie waren die Antworten?
Sagen wir es so: Ich verliess die Schwingfeste regelmässig nicht allein.

1977 wurden Sie in Basel dann Schwingerkönig. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Fest?
Das ESAF fand im Joggeli statt. Ich sass vor dem Schlussgang in der Garderobe des FCB, als Brändli zu mir kam und mir sagte, ich müsse den Schlussgang gegen Peter Steiger unbedingt gewinnen.

Warum?
Weil Peters Erscheinung in seinen Augen nicht königswürdig gewesen sei.

Sie krönten sich dann tatsächlich zum König. Wie gingen Sie mit dem Trubel danach um?
Ich stand noch nackt unter der Dusche und seifte mich gerade ein, als schon die erste Journalistin kam und Fragen stellte. Am Abend fand dann bei mir zu Hause ein grosses Fest statt.

Zwischen 1974 und 1983 haben Sie an jedem Fest, an dem Sie teilgenommen haben, einen Kranz gewonnen. Was brachte Ihnen das finanziell ein?
Nicht sehr viel, zu meiner Zeit gab es an manchen Festen ausser einer Zinnkanne nichts. Immerhin gewann ich insgesamt 22 Munis. Die verkaufte ich alle und leistete mir damit ein Appartementhaus. Ganz ehrlich: Ich bin froh, dass ich nicht viel Geld hatte.

Weshalb?
Weil ich nicht weiss, wie ich in dem Alter mit all dem Geld umgegangen wäre. Wahrscheinlich hätte ich es verlölet und vertublet.

Heute ist das anders. Die Spitzenschwinger verdienen sehr viel Geld.
Das stört mich sehr. Der Spitze geht es nur noch ums Geld und um die Werbeverträge. Sie hören deshalb auch nicht auf und schwingen bis ins hohe Alter weiter, weil sie weiterhin viel Geld verdienen wollen.

Meinen Sie Christian Stucki?
Zum Beispiel. Was er macht, ist nicht per se falsch, aber hätte er keine Werbeverträge, hätte er schon längst aufgehört.

Sind Sie neidisch?
Ach hören Sie auf! Ich finde die derzeitige Entwicklung einfach nicht gut. Wenn ein Schwingerkönig mit seinem Schwingersohn für eine Autogrammstunde einen Riesen-Betrag bekommt, ist das schädlich.

Was würden Sie ändern?
Schwingerkönige verdienen mittlerweile bis zu 700’000 Franken im Jahr. Das ist einfach zu viel. Ich würde ein Limit einführen.

Sie klingen wie ein alter weisser Mann, der sagt, dass früher alles besser gewesen sei.
Ich mache mir einfach Sorgen um unseren Sport. Schwingen ist ein Brauchtum, das es nur in der Schweiz gibt. Wir müssen aufpassen, dass unsere Sportart nicht zugrunde geht.

Warum sollte sie das? Das Schwingen boomt doch.
An der Spitze schon. Aber wir brauchen nicht nur die Stars, sondern auch noch 300 bis 400 Schwinger, die das ehrenamtlich ausführen. Waren Sie in den letzten Jahren mal an einem kleinen Schwingfest?

Nein.
Dann würden Sie sehen, dass diese Feste Mühe haben. Ja, die grossen Feste boomen, aber in den städtischen Agglomerationen hat es im Gegensatz zu früher nur noch wenige Schwinger. Diese Entwicklung ist gefährlich. Hinzu kommt, dass an grossen Festen gewisse Schwingerfreunde kaum noch Billette kriegen. Die Sponsoren und die Cüpli-Damen schon, die Schwingerfreunde aber müssen ohne Billett zu Hause hocken.

Was Sie auch ärgern soll: Sie sind offenbar der Meinung, dass viele Spitzenschwinger technisch limitiert sind.
Das ist so. Sie verdienen zwar viel mehr Geld als wir früher, technisch aber sind sie keinen Schritt weiter. Manche Schwinger haben bloss einen Schwung drauf. Mehr nicht! Sagen wir es so: Mit meiner Technik und meiner Kondition von damals würde ich heute noch an der Spitze mitschwingen.

Der eine oder andere Spitzenschwinger heute trägt ein Bäuchlein. Stört Sie das?
Auch zu meiner Zeit gab es Schwinger, mit dem einen oder anderen Kilo zu viel auf den Rippen. Aber die hatten im Gegensatz zu heute keine Chance. Wenn ich heute sehe, wie manch ein Schwinger schon nach ein paar Minuten völlig ausser Atem ist, kann ich manchmal kaum zuschauen.

Im vergangenen Jahr wurde immer mal wieder über die Einführung des Schwing-VAR diskutiert. Lassen Sie mich raten: Sie sind dagegen.
Hören Sie mir auf damit, das geht gar nicht. Was der Kampfrichter sagt, gilt. Das sind auch nur Menschen, und die dürfen Fehler machen.

Das ist jetzt aber keine Begründung, warum Sie dagegen sind.
Ich muss das auch nicht begründen, ich will den VAR einfach nicht. Punkt, aus!

Sie sind mittlerweile 69 Jahre alt. Wie sieht Ihr Leben heute aus?
Zurzeit arbeite ich noch Teilzeit im Kundendienst und als Kurierfahrer für Medizinprodukte. Doch Ende Jahr höre ich auf und werde Rentner.

Wie stellen Sie sich das Rentnerleben vor?
Ich werde zusammen mit meiner Freundin das Leben geniessen und hoffen, dass ich alt werde. Ich werde oft Zug fahren und viel mit dem Fahrrad unterwegs sein. Die Natur und der Sport halfen mir auch, als ich vor gut zehn Jahren in einer grossen Krise steckte.

Was war damals passiert?
Ich habe damals unverschuldet den Job verloren, weil ich auf Missstände aufmerksam machen wollte. Das hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen. Ich sass oft allein zu Hause, ging während Jahren nicht mehr in meine geliebte Männerriege und war rückblickend betrachtet selbstmordgefährdet.

Wie fanden Sie aus dem Loch wieder raus?
Mit psychologischer Hilfe. Und ich verstand irgendwann, dass ich selber den Grind aus dem Sand reissen muss. Dass ich das geschafft habe, macht mich heute noch stolz.

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