Jeremy Vollenweider (26) verzieht das Gesicht. Um sein rechtes Handgelenk ist ein blauer Verband gewickelt. «Ich spüre meine Finger nicht mehr. Sie sind blau angelaufen», sagt der Schwinger zu seiner Mutter. Die würde ihn gerne im Notfall sehen. Doch das Spital muss warten. «Ich will die Kranzübergabe nicht verpassen.»
Vor wenigen Sekunden hat er sich das Eichenlaub am Nordostschweizerischen Schwingfest gesichert. «Und das praktisch mit einem Arm.» Es passierte im zweiten Gang. Der Sieger des diesjährigen Bündner-Glarner Schwingertages fällt auf das rechte Handgelenk. Gleichzeitig knallt sein Gegner auf ihn drauf. «Ich habe gespürt, dass etwas nicht stimmt.»
Kopf hat sich durchgesetzt
Am Mittag kann er seine Finger kaum mehr bewegen. Vollenweider überlegt, ob er den Wettkampf abbrechen soll. Die gute Ausgangslage lässt ihn zweifeln. Zwei Siege und ein Gestellter stehen auf seinem Notenblatt. «Der Kopf gab es mir nicht zu, jetzt einfach aufzuhören.»
Nach einem Sieg im vierten und einer Niederlage im fünften Gang muss er den letzten Kampf gewinnen. «Ich habe ein paar Schmerztabletten geschluckt.» Obwohl der 25-fache Kranzgewinner kaum greifen kann, gelingt ihm der siegbringende Wurf. Als Vollenweider danach den Verband entfernt, offenbart sich ihm ein unschönes Bild.
«Das Handgelenk war blau, gelb, rot, schwarz und stark angeschwollen.» Eine Kleinigkeit im Vergleich zu den Herausforderungen, die er bisher in seinem Leben meistern musste. Vollenweider hat den Krebs besiegt und einen Herzstillstand überlebt.
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Als Dirigent auf der Baustelle
Nach der Rangverkündigung schnappt er sich im Gabentempel einen 1000-Franken-Gutschein der Migros und geht ins Kantonsspital Winterthur. Auf den Röntgenbildern entdecken die Ärzte nichts Auffälliges. Trotzdem bekommt er einen provisorischen Gips. «Die Ärzte trauten mir nicht zu, dass ich die Hand ruhig halten kann.» Wer Vollenweider kennt, weiss, wie schwer ihm das fallen würde. Neben dem Schwingen ist er auch Ringer und gehört zu den besten Nationalturnern des Landes.
Zwei Tage nach dem Unfall sagt er: «Ich habe immer noch Schmerzen. Zum Glück kann ich die Finger wieder bewegen». Das Handgelenk sei weiterhin stark geschwollen. «Im Nachhinein hätte ich vielleicht besser aufgehört.» Vorerst ist der Polier krankgeschrieben.
Das hält ihn aber nicht davon ab, auf der Baustelle zu sein. «Als Dirigent», sagt er lachend. Sein 300 Jahre altes Elternhaus wird derzeit umgebaut. Wie lange er ausfällt, ist unklar. Weitere Abklärungen werden in den nächsten Tagen folgen. Sein nächster Einsatz folgt am 10. August an den eidgenössischen Ringertagen.