Vor drei Monaten besuchte Blick Kilian Wenger (34) beim Athletiktraining in Wilderswil BE. «Stand jetzt werde ich am Jubiläumsschwingfest im September antreten», sagte er damals. Fünf Wochen vor dem Saisonhöhepunkt ist alles anders: Der Schwingerkönig von 2010 verkündete am Freitag seinen Rücktritt.
In den Händen hält er Kärtchen mit seinen Notizen darauf. Man merkt, dass der Berner lieber im Sägemehl steht als vor etwas mehr als 10 Journalisten und Fotografen zu sprechen. «Ich trete per sofort zurück», erklärt er im Athletiktraum von S4Sports, wo er sonst jeweils unter der Leitung von König Matthias Glarner Gewichte stemmte.
Tränen auf dem Brünig
Der Rücken zwingt ihn zu diesem Schritt. «Dank einer Spritze bin ich aktuell schmerzfrei, doch das Vertrauen habe ich seit dem Frühling nicht mehr gefunden.» Zuletzt verpasste er auf der Rigi und auf dem Brünig den Kranz.
Mit der Niederlage am vergangenen Sonntag gegen Steven Moser ging seine grossartige Karriere zu Ende. Danach spielten sich auf dem Brünig herzzerreissende Szenen ab. Wenger bricht in Tränen aus, seine Frau Kathy tröstet ihn. «Im ersten Moment war ich mega enttäuscht. Das hat mir sehr wehgetan», verrät er Blick.
Am Montag fällte Wenger den definitiven Rücktrittsentscheid. Ausgewählte Personen informierte er per Whatsapp-Nachricht. Die Reaktionen? «Einige meinten, ich solle doch noch das Berner Kantonale bestreiten.» Für Wenger keine Option. «Dafür fehlt mir die Energie, mich noch einmal zu motivieren. Ich hätte sowieso nicht mehr um den Festsieg geschwungen.»
Eine spezielle Nacht
Bereut hat er seinen Entscheid nie, obwohl er einmal in der Nacht aufwachte. «Ich habe kurz mit meinem Schluss auf dem Brünig gehadert. Will ich wirklich so abtreten, fragte ich mich.» Dann fiel ihm ein, dass dieser Abgang nichts mit seiner grossartigen Karriere zu tun hat. Schwingerkönig 2010, fünf Eidgenössische Kränze, 23 Kranzfestsiege, 110 Kränze – noch Fragen?
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«Ich habe meiner Familie durch die Blume gesagt, dass es plötzlich vorbei sein könnte.» Und so ist es auch gekommen. «Meine Kinder realisieren noch nicht, was das bedeutet», meint er schmunzelnd. Auf die vielen gemeinsamen Stunden mit seiner Familie freut er sich besonders. Wobei er in den nächsten Wochen einiges vorhat.
Neues Sport-Hobby?
Wenger will die Ausbildung zum technischen Kaufmann abschliessen. Gleichzeitig dürfte er am Berner Kantonalen offiziell verabschiedet werden. Und dann steht noch eine entscheidende Wahl an. «Ich möchte Präsident von meinem Schwingklub werden. Hoffentlich klappt das.» Daneben reizt es ihn auch, Trainings zu leiten. In welcher Form wird sich zeigen.
Was er sonst noch mit der neu gewonnenen Zeit anstellt? «Bouldern macht mir sehr viel Spass.» Auch mehr zu joggen sei eine Option. Auf die harten Einheiten im Kraftraum kann Wenger verzichten. «Das brauche ich nicht mehr.» Was auch immer der König macht, seine Frau Kathy wird ihn unterstützen.
Grosse Nervosität
Sie verfolgt die Pressekonferenz vor Ort. Seit elf Jahren sind die beiden ein Paar und Eltern zweier Kinder. Kennengelernt haben sie sich im Februar 2013 in Kirchberg BE in einem Schlagertempel. «Sie ging einen langen, teilweise sehr steinigen Weg mit mir. Sie hat restlos alles organisiert, was mit unserem Leben zu tun hatte. Sie hat immer die richtigen Worte gefunden, wenn es mal nicht lief», sagt Wenger über seine Herzensdame.
Dann ist die Pressekonferenz zu Ende. Wenger gibt zu, «sehr nervös» gewesen zu sein. Sollte er zum Präsident gewählt werden, müsse er sich daran gewöhnen, Reden zu halten. «Die Eltern meinten jeweils, wenn ich sagte, ich kann das nicht: Dann lernst du es.» Mit dem Reden vor Menschen sei das genau gleich. Vorerst geniesst er seinen Ruhestand. Das Emmentalische Schwingfest am Samstag schaut er sich gemütlich vom Sofa aus an.