«Er wird sich an der nationalen Spitze etablieren!»
Der neue Stucki heisst Matthieu Burger

Nach dem Rücktritt von Christian Stucki ist Matthieu Burger die grösste Zukunftshoffnung der Berner Seeländer. Doch seit gestern ist das Riesentalent auch ein Riesenpechvogel.
Publiziert: 30.07.2023 um 07:54 Uhr
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Aktualisiert: 30.07.2023 um 09:46 Uhr
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Matthieu Burger produziert auf dem elterlichen Hof im Berner Jura mit Mutterkuhhaltung Natura Beef.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Marcel W. PerrenReporter Sport

Wer den Burger Matthieu über das Mobiltelefon erreichen will, hat schlechte Chancen. Der frisch gekrönte Eidgenosse residiert und arbeitet auf einem prächtigen, aber sehr abgelegenen Bauernhof im Berner Jura, auf dem es kaum Handy-Empfang gibt.

Der 1,90 Meter lange Blondschopf ist hier siebeneinhalb Kilometer vom Ortskern von Les Prés-d’Orvin entfernt zusammen mit seinen jüngeren Brüdern Etienne und David zweisprachig aufgewachsen. Die aus dem Kanton Schaffhausen stammende Mama hat ihren Buben Deutsch beigebracht, mit dem Papa wird französisch parliert. Vom Vater hat Matthieu auch das «böse» Gen geerbt: Bernhard Burger hat fünf Kränze erschwungen. Matthieu war ein siebeneinhalbjähriger Knirps, als ihn der Senior erstmals in den Schwingkeller nach Biel gefahren hat.

Geprägt vom König

Im Berner Seeland machte Burger früh Bekanntschaft mit zwei absoluten Giganten – Schwingerkönig Christian Stucki (38) und dem 108-fachen Kranzgewinner Florian Gnägi (35). «Chrigu und Flöru gehören im Sägemehl unbestritten zu meinen wichtigsten Lehrmeistern. Beide kennen den Schwingsport in- und auswendig und erkennen deshalb in jeder Trainingseinheit ein Detail, das ich noch besser machen kann.»

Doch wenn der 21-Jährige an seinen ersten Trainingsvergleich mit dem übermächtigen Stucki zurückdenkt, schiesst ihm nach wie vor ein eiskalter Schauer über den Rücken. «Das war ein wirklich krasses Erlebnis! Chrigu war derart mächtig, dass ich mit meinen Händen kaum den hinteren Teil seiner Zwilchhosen greifen konnte. In diesem Moment war mir klar, dass ich in diesem Sport noch nirgends bin.»

Burger trägt Stuckis riesige Schuhe aus

In der Zwischenzeit hat sich Burger aber derart gigantisch entwickelt, dass er Stuckis riesige Fussstapfen wahrhaftig ausfüllen kann. «Matthieu hat wie ich die Schuhgrösse 50. Somit musste ich meine wertvollen Schwingerschuhe nach meinem Rücktritt nicht wegwerfen. Ich habe die Schuhe Matthieu gegeben, damit er sie austragen kann», verrät der König von 2019. Stucki glaubt daran, dass sein sportlicher Ziehsohn eines Tages den Thron erobern kann. «Matthieu befindet sich auf einem sehr guten Weg, er imponiert mir vor allem mit seiner enormen Willensstärke. Klar, im Moment fehlt ihm noch das letzte Quäntchen für den ganz grossen Wurf. Aber er ist noch sehr jung. Und wenn er so weitermacht und von Verletzungen verschont bleibt, wird er sich eines Tages an der nationalen Spitze etablieren.»

Freiheit auf dem elterlichen Betrieb

Den ersten eidgenössischen Kranz hat sich Burger vor elf Monaten mit dem siebten Rang in Pratteln erkämpft. «Seitdem versuche ich den Schwingsport noch professioneller zu betreiben», betont der 105-Kilo-Mann, der nach seiner Lehre als Forstwart die Ausbildung zum Landwirt abgeschlossen hat.

«Ich bin jetzt auf meinem elterlichen Bauernbetrieb angestellt, wo ich einige Freiheiten geniesse. Während meiner Lehrzeit ist die gewinnbringende Regeneration halt oft zu kurz gekommen, weil ich am Tag vor einem Schwingfest und am Tag nach dem Wettkampf gearbeitet habe. Jetzt kann ich an diesen Tagen freinehmen und habe auch sonst mehr Zeit, damit ich die Trainingspläne von meinem Klubkollegen Dominik Roth umsetzen kann.»

Deshalb besticht Burger in der laufenden Saison mit einer beeindruckenden Konstanz. Sieben Kranzfeste hat der Sennenschwinger heuer bestritten, sieben Mal hat er das begehrte Eichenlaub gewonnen. Am Berner-Jurassischen hat Burger mit Kilian Wenger (33) erstmals einen Schwingerkönig gebodigt.

Die ewige Rivalität mit den Innerschweizern

Was in Burgers Kranzvitrine noch fehlt, ist die Auszeichnung vom Brünig. Das wollte er heute unbedingt ändern. Doch leider zog sich der Pechvogel im gestrigen Abschlusstraining eine Gehirnerschütterung zu, kann auf dem Brünig nicht antreten.

Von noch grösserem Nutzen als üblich kann Matthieu jetzt sein ultimativer Kraftort sein – der elterliche Hof. «Unser Haus steht auf 1200 Metern, das Klima ist entsprechend rau, aber die Aussicht ist einmalig. Wenn ich in den Westen blicke, sehe ich den Neuenburgersee. Und wenn ich mich an klaren Tagen in Richtung Osten ausrichte, kann ich den Säntis sehen.»

Matthieu kann sich gut vorstellen, dass er den rund 90 Hektaren grossen Betrieb eines Tages von seinem Vater übernehmen und zusammen mit seinem Bruder Etienne weiterführen wird. Etienne Burger hat übrigens ebenfalls böses Potenzial – der 19-Jährige hat bis jetzt vier Kränze erkämpft. Und er ist heute auf dem Brünig dabei.

Spitzenpaarungen

Joel Wicki – Armon Orlik
Fabian Staudenmann – Samuel Giger
Matthias Aeschbacher – Roger Rychen
Pirmin Reichmuth – Thomas Sempach
Adrian Walther – Damian Ott
Jonas Burch – Curdin Orlik
Michael Gwerder – Fabian Kindlimann
Michael Ledermann – Domenic Schneider

Joel Wicki – Armon Orlik
Fabian Staudenmann – Samuel Giger
Matthias Aeschbacher – Roger Rychen
Pirmin Reichmuth – Thomas Sempach
Adrian Walther – Damian Ott
Jonas Burch – Curdin Orlik
Michael Gwerder – Fabian Kindlimann
Michael Ledermann – Domenic Schneider

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