Schwingen ist ein eidgenössisches Unikum. Und für jedermann relativ einfach auszuüben. Es braucht lediglich ein paar Zwilchhosen, an denen die Schwinger rupfen und einander lupfen können. Der Leinen-Zwilch wird seit Jahrhunderten für seine Robustheit geschätzt. Und robust muss er sein. Ein durchschnittliche Schwinger bringt locker 100 Kilogramm auf die Waage. Wer nun aber denkt, die fast unzerstörbaren Schwingerhosen sind ein echt starkes Stück Schweiz – der irrt.
Genäht werden sämtliche Schwingerhosen zwar in der Schweiz. Doch der Leinen-Zwilch, aus denen die Hosen hergestellt werden, hat gar nichts mit Swissness zu tun. Die Flachspflanze, Lieferantin der robusten Fasern, wird in Frankreich und Belgien angebaut. Auch das Spinnen und Weben findet im Ausland statt. Das war nicht immer so. Im letzten Jahrhundert bauten in der Schweiz noch etliche Bauern Flachs an. Doch mit dem Siegeszug der synthetischen Stoffe verschwand die Pflanze von Schweizer Feldern. Und mit ihr ging auch das alte Wissen um die robuste Faser verloren.
Teure Schweizer Variante
Es kam das Ende der Schwingerhosen «100 Prozent made in Switzerland». Zumindest für lange Zeit.
Bis vor ein paar Jahren eine handvoll innovativer – und etwas verrückter – Landwirte aus dem Emmental wieder Flachs anbauten. Das Wissen dazu holten sie sich aus Youtube-Videos. Und in kleinen Mengen wird der Zwilch nun sogar in der Schweiz gewoben. Dank der Emmentaler Flachs-Pioniere taucht das Schweizer Produkt vereinzelt wieder in Schwingarenen auf – zuletzt auf dem Weissenstein.
Bereits 2019 hat das Fest-OK entschieden, Schwingerhosen aus Schweizer Zwilch zu kaufen. Trotz der relativ hohen Mehrkosten. Eine Hose aus EU-Stoff kostet etwa 120 Franken, eine Hose aus Schweizer Flachs etwa 170 Franken. Doch das Geld sei es wert, findet OK-Präsident Michael Guldimann. «Das war gar keine Frage. Uns ist es wichtig, das lokale Gewerbe zu unterstützen. Unser Bier kommt von einer Solothurner Brauerei und sämtliche Drucksachen werden seit jeher in einer regionalen Druckerei hergestellt. Also macht es nur Sinn, dass auch die Schwingerhosen so regional wie möglich produziert werden.»
Der ESV wünscht sich Schweizer Qualität
Die 40 Hosen liess das Weissenstein-OK bei einem Hersteller in Rohrbach BE, 40 Autominuten von der Weissenstein-Talstation entfernt, auf Bestellung anfertigen. Qualitativ unterscheiden die sich kaum von der EU-Ware. «Sie sind aber eine Spur geschmeidiger und deshalb schneller eingeschwungen», erklärt Guldimann. Von den Schwingern hingegen kam nie eine Rückmeldung. «Die haben vermutlich gar nicht mitgekriegt, dass an diesen Hosen irgendetwas anders ist.»
Warum nicht mehr Schwingklubs und Fest-OKs auf das heimische Produkt setzen, ist schwierig nachzuvollziehen. «Der Preis schreckt sicher viele ab», mutmasst Guldimann, «aber gleichzeitig kenne ich kaum einen Schwingklub, der sich die Hosen nicht leisten könnte. Schlussendlich ist es eine politische Frage, die jedes Gremium für sich beantworten soll.»
Auch der Eidgenössische Schwingerverband würde gerne mehr Schweizer Stoff im Sägemehl sehen. Doch er kann die Klubs nicht dazu zwingen. Geschäftsstellenleiter Rolf Gasser erklärt: «Wir müssen den Klubs klarmachen, dass einheimischem Schaffen auch bei einer Preisdifferenz der Vorzug gegeben werden sollte.» Bei dem geballten Nationalstolz in der Schwingerszene sollte das eigentlich kein Thema sein.