Auf einen Blick
- Schweizer Eishockey-Nati liess vor WM-Viertelfinal Hypnotiseur einfliegen
- Die Schweizer NHL-Stars waren nicht grösser als das Team
- Die Enttäuschung über das verlorene WM-Gold zeigt den Wandel der Nati
Der Weg zu dieser WM-Silbermedaille ist die Reise einer Mannschaft, deren Spieler danach sagen werden, dass sie noch selten einen so starken Teamgeist und Zusammenhalt erlebt haben. Als Journalistin macht man diese Reise mit, bekommt für kurze Momente Einblicke ins Innenleben, wenn die Spieler es zulassen. Wirklich in Worte fassen, was in einer Garderobe passiert, wenn etwas Grossartiges entsteht und wächst, können nur die Beteiligten selbst. Wenn überhaupt.
Mich katapultiert der WM-Song in jene Zeit zurück. «Hell.o» der tschechischen Sängerin und Songwriterin Lenny. Er dröhnt in der Arena vor den Spielen aus den Boxen. Kein typischer Hüpfsong zum Mitwippen, aber er hat was. Er handelt von Dämonen im Kopf, die sie einfach anlächelt, weil sie ihre Seele niemals kriegen werden. Bei den Schweizern sollen sie sich erst gar nicht einnisten können, die Dämonen der Vergangenheit.
Ein Hypnotiseur wird engagiert, der bereits in einer Camp-Woche bei der Nati weilt. Und kurz vor der Viertelfinal-Knacknuss gegen Deutschland nach Prag eingeflogen wird. Ein Jahr zuvor in Riga ist die Schweiz gegen ihr Nachbarland aus dem Turnier geflogen. Das passiert nicht noch mal, mit einem 3:1-Sieg zieht sie in den Halbfinal ein. Da wartet Kanada. Und die Nati liefert beim 3:2-Penaltysieg eines ihrer grössten Spiele ab.
Viele Emotionen – bei allen
Der Hunger, die Sehnsucht nach diesem WM-Gold ist spürbar, die Hoffnung, der Enthusiasmus. Wann, wenn nicht jetzt? Zweimal (2013, 2018) haben es die Schweden weggeschnappt, damals ist Silber jedoch noch historisch. Jetzt will man Gold, Nati-Trainer Patrick Fischer hat die Erwartungshaltung und das Selbstbewusstsein seiner Schweizer geschärft. Zu Recht.
Dass es dann im Final gegen die euphorisierten Tschechen nicht klappt (0:2), ist eine Enttäuschung und bricht Herzen auf und neben dem Eis. Einige Spieler haben noch lange daran zu beissen, reden auch Monate später noch vom Scheitern statt vom Silber-Gewinn. Das zeigt den Wandel, vorbei ist es mit der Bescheidenheit, die Nati darf anspruchsvoll sein. Der Stolz über die Turnierleistungen drückt aber irgendwann doch noch durch. Was man als Mitfahrerin auf dieser Reise erleben darf, muss man sich immer mal wieder vor Augen führen, weil es jedes Mal etwas Besonderes, Einzigartiges ist.
In diesen WM-Wochen werden viele Geschichten geschrieben, mit Emotionen des Menschen hinter dem Spieler. Oder von Menschen, die den Spielern nahestehen. Wie bei Kevin Fiala, dem MVP des Turniers mit sieben Toren in acht Spielen. Nur wenige Tage nach der Geburt seiner Tochter Masie-Mae fliegt er aus Los Angeles nach Prag, seine Frau Jessica versteht seinen Wunsch, er dankt ihr. Er landet kurz vor dem Gruppenspiel gegen Tschechien, das Heimatland seiner Eltern und Grosseltern. Der 28-Jährige stempelt sogleich mit einem Tor und einem Penaltytreffer ein. Wenige Tage später spaziert er mit seinem Grosi Milada durch die Prager Altstadt, der NHL-Star ist unkompliziert, herzlich.
Die Mischung aus NHL und National League machts aus
Wie die Mutter eines anderen NHL-Stars: Roman Josis Mama Doris ist mit ihrem Lebenspartner spontan nach Prag gereist – im Camper. Ein Schwatz mit vielen Lachern mit Josis Familie beim Kaffee im Campingstuhl bereichert das WM-Erlebnis genauso wie die Erkenntnis, dass Devils-Captain Nico Hischier so sehr gereift ist, dass er die Mannschaft im Hintergrund trägt.
Nie aber stellen die NHL-Grössen das Team in den Schatten, das aus so vielen prägenden Spielern besteht. Wie Calvin Thürkauf, der aus einer super NL-Saison kommt, aber an der WM lange mit sich hadert. Oder Christoph Bertschy, der einfach jede Rolle erfüllt, die ihm Trainer Fischer zuteilt. Rekordmann Andres Ambühl, der auch nach so vielen Jahren noch beeindruckt. Der überraschende WM-Debütant Sven Jung, der WM-Geniesser Tristan Scherwey. Und all die anderen verdienten Silber-Helden.