Hand aufs Herz: Würden Sie Tadej Pogacar (22) erkennen, wenn Sie ihm auf der Strasse begegneten? Der Slowene wirkt wie ein braver, sympathischer Teenager, der gerade von der Schule kommt. Dabei ist er der beste Rad-Profi der Welt! Bereits 2020 wurde er der jüngste Tour-de-France-Sieger seit 116 Jahren. Und nun doppelt «Pogi» nach, er gewinnt die Frankreich-Rundfahrt zum zweiten Mal.
«Es ist ein Spiel»
Diesmal ist der Slowene gar noch überlegener. Pogacar erreicht Paris mit 5:20 Minuten Vorsprung auf den überraschenden Dänen Jonas Vingegaard (24). Dritter wird Tour-de-Suisse-Sieger Richard Carapaz (28, Ecu) – er verliert mehr als sieben Minuten.
Besonders an Pogacars Triumph ist, mit welcher Lockerheit er ihn erreicht. Während manche vor der Tour befürchteten, dass das Rad-Wunderkind am Druck zerbrechen könnte, lächelte Pogacar diese Befürchtungen weg oder fuhr ihnen einfach davon. «Seit ich in die Tour gestartet bin, ist es ein Spiel für mich. Ich geniesse es, zu spielen», sagte er kürzlich.
Wie diese Worte auf seine Gegner wirken? Man wagt es kaum, daran zu denken. Doch genau so fuhr Pogacar in den letzten drei Wochen. In den von Stürzen geprägten ersten Tour-Tagen schaffte er es als einer der Einzigen, auf dem Rad zu bleiben. Dann, beim ersten Zeitfahren, fuhr er ein Polster heraus. Es folgten die Alpen und die Pyrenäen – Pogacar gewann zwei weitere Etappen.
Während seine Gegner mit schmerzverzerrten Gesichtern die Berge hochkraxelten, verzog er keine Miene. Es schien gar, als würde Pogacar zwischendurch lächeln. «Im Sport geht es auch darum, Spass zu haben. Meine Sportdirektoren sagen immer zu mir: ‹Hab einfach Spass. Es ist nur ein Spiel, einmal gewinnen wir, ein andermal verlieren wir›», sagt er.
Merckx traut Pogacar den Rekord zu
Aber ist es wirklich so einfach? Offensichtlich schon. Weder die Gegner noch «heikle» Journalisten-Fragen bringen Pogacar, der neben der Gesamt- auch die Bergwertung und das Klassement des besten Jungprofis holt, nicht aus der Ruhe. Als ihn jemand nach der dopingbelasteten Vergangenheit seines Tessiner Teammanagers bei UAE Emirates, Mauro Gianetti, ansprach, sagte Pogacar: «Ich denke, er ist ein guter Mensch. Die Vergangenheit ist die Vergangenheit, der neue Radsport ist ein toller Sport.»
Zwei Tour-de-France-Siege hat Pogacar im Palmarès. Und das mit 22 Jahren. Da stellt sich die Frage, ob er den Rekord von fünf Siegen eines Tages brechen wird. Rad-Legende Eddy Merckx (74) könnte es wissen – er ist einer der Rekordhalter. Der früher wegen seines unersättlichen Siegeshungers «Kannibale» genannte Belgier sagt: «Tadej ist auf dem Weg, die Tour mehr als fünfmal zu gewinnen. Er ist der neue Kannibale.»