Kann Stefan Küng die Tour de Suisse gewinnen?
Viele Jahre lang war dieser Gedanke nicht mehr als ein Hirngespinst. Vor der zweitletzten Etappe ist er allerdings berechtigt. Denn: Küng, eigentlich ein Classique- und Zeitfahrspezialist, hält mittlerweile auch in den Bergen gut mit. So auch im brutalen Schlussaufstieg nach Malbun. Er lässt die Rad-Schweiz träumen.
Doch dann passiert es: Ausgerechnet nach dem etwas flacheren Tunnel platzt der Traum. 1,9 Kilometer vor dem Ziel muss Küng kapitulieren. «Ich habe gehofft, dass wenn ich es bis zum Tunnel schaffe, ich mich etwas erholen kann. Aber dann ging mir der Saft aus. Es war, als hätte mir jemand den Stecker gezogen», sagt er danach.
Die Folge? Küng explodiert, er verliert bis ins Ziel viel Zeit auf seine grössten Konkurrenten im Gesamtklassement. Genauer: 89 Sekunden auf Geraint Thomas (36, Gb) und 71 Sekunden auf Jakob Fuglsang (33, Dä). Es wären wohl weniger gewesen, hätte sein Teamkollege Sébastien Reichenbach (32, Sz) für Küng die Lokomotive gespielt. Doch Reichenbach hilft nicht, sondern fährt auf eigene Faust davon. Warum, ist ein Rätsel – schliesslich kämpft er weder in der Etappe um den Sieg noch in der Gesamtwertung ums Podest. Der Sieg geht an Thibaut Pinot (32), ebenfalls ein Teamkollege bei Groupama-FDJ.
Thomas in der Pole-Position
Auf dem Papier hat Küng nach wie vor die Möglichkeit, die Tour zu gewinnen. Der neue Leader, die kolumbianische Bergziege Sergio Higuita (26, Kol), liegt in seiner Reichweite. Und auch Fuglsang könnte er noch abfangen. Bliebe Thomas. Küng schlug ihn in den letzten fünf Zeitfahr-Duellen jeweils deutlich. Beim letzten (Algarve-Rundfahrt) nahm er dem Briten auf 32 Kilometer satte 2:27 Minuten ab. Umgerechnet auf die Distanz des Vaduz-Zeitfahrens (25,6 km) würde er also etwa 1:50 Minuten auf Thomas herausholen – und ihn abfangen. Das Problem bei der Geschichte: Thomas, der die Tour de France 2018 gewann, ist nach einer langen Durststrecke so gut drauf wie schon lange nicht mehr.
Das weiss Küng. Darum denkt er nur noch an etwas: den Etappensieg. «Ich will gewinnen», sagt er klipp und klar. Ein Triumph wäre doppelt süss. Warum? Weil Küng schweizerisch-liechtensteinischer Doppelbürger ist. Zweimal startete er sogar im Fürstentum-Dress, 2011 und 2013. «Das war bei den ‹Games of the small States of Europe›, einer Art Europameisterschaft für Kleinstaaten. Und 2013 habe ich beim Zeitfahren sogar Gold gewonnen. Ich mag diese Gegend wirklich sehr.»
Wann kommt das Baby?
Küng hat allerdings noch eine Person, die ihn von seinem dritten Tour-de-Suisse-Etappensieg abhalten könnte: sein künftiger Sohn. Der Hintergrund: Küngs Frau Céline ist hochschwanger – der eigentliche Geburtstermin liegt schon eine Woche zurück. Sollte es vor oder während dem Zeitfahren so weit sein, würde Küng die Tour verlassen. «Es gibt Wichtigeres als ein Radrennen», sagt er. Niemand würde ihm je widersprechen.